Alfred Lang

University of Bern, Switzerland

Bulletin Article 1995

Steine zum Anstossen --

Das Denkmal in der Entwicklung sozio-kultureller Systeme

1993.14

@CuPsy @SemEcoPro @ResPub

31 / 40KB  Last revised 98.11.02

Unipress Nr. 79 vom Dezember 1993. 37-43 Pp.

© 1998 by Alfred Lang

info@langpapers.org

Scientific and educational use permitted

Home ||

Inhalt

Denkmäler sind Objekte unserer Sorge. Im doppelten Sinn: wir sorgen für ihre Erhaltung und wir sind in Sorge um etwas, was wir mit ihrer Hilfe zu erhalten suchen: etwa die Kontinuität gemeinschaftlicher Existenz über die Zeit.

Weil damit sehr viel auf dem Spiel steht, stellt sich die Frage mit zunehmender Dringlichkeit, ob Denkmalpflege ausreichende Grundlagen und Bewertungskriterien hat, um in einer weniger freundlichen Welt als der Konjunktur der vergangenen Jahrzehnte zu bestehen. Viele Leistungen der Denkmalpflege verdienen Hochachtung. Dennoch sind sie kontrovers. Das scheint angesichts konkreter Interessenkonflikte und finanzieller Erwägungen in jedem Einzelfall verständlich. Denkmal-Objekte sind Brennpunkte unserer Erhaltungs- und Zerstörungswünsche. Es könnte sich dahinter aber auch etwas Grundsätzlicheres verstecken.

Als Aussenstehender, der sich mit dem Verhältnis zwischen Menschen und ihrer gebauten und gestalteten Umwelt allgemein befasst, möchte ich vorschlagen, das Denkmal weniger als ein Objekt unserer Verfügung, sondern vielmehr als einen wesentlichen Bestandteil des gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses zu begreifen.

 

1. Von der Vergangenheit in die Zukunft

Zur Einführung in diese Sichtweise will ich von einem Wandel im Umgang mit Denkmälern ausgehen. Während unsere grossen Inventarisierungswerke noch den Titel "Kunstdenkmäler" tragen, spricht man heute im allgemeinen lieber vom "Kulturdenkmal" oder sogar einfach vom "Denkmal". Gemeint sind im wesentlichen ortsfeste gebaute und gestaltete Werke von besonderem Wert. Während Generation schien sich die Rechtfertigung ihrer Pflege überwiegend aus künstlerischen Motiven zu nähren, während heute auch schon ihre historische Zeugenschaft als ausreichend für ihre Erhaltung gelten kann. Das zeigt sich unter anderem an der Tendenz, auch Werke der jüngsten Vergangenheit unter Schutz zu stellen.

Was will aber ein Architekt eigentlich, der das Urheberrecht einsetzen möchte, um die Veränderung seines Werkes zu verhindern, das er doch für andere entworfen hat? Ist es nicht ein Missverständnis, wenn Denkmalpflege ihn darin unterstützt? Ist der Sinn des Bauwerks nicht sein Gebrauch? Und der sinnvolle Gebrauch eines Bauwerks nicht seine Veränderung? Wenn der Architket sich "verewigen" will, hätte er dann nicht besser als Künstler eine Skulptur gemacht? Deren Sinn ist es, sich dem Gebrauch zu verweigern, sich der Kultur des Verbrauchs entgegenzustehen.

 Inhalt

2. Kunstwerke und Baudenkmäler

Diese zwei Weisen, Vergangenheit auf Zukunft zu beziehen, scheinen nicht selten vermischt zu werden. Ein Bauwerk führt in die Zukunft; es stabilisiert den sozialen Fluss durch seine relative Beständigkeit und geht zögerlich mit oder wirft sich gelegentlich kühn voraus; in dialektisch-evolutivem Verhältnis mit dem Sozialsystem, in dem und für das es existiert. Ein Kunstwerk widersteht der Zukunft, indem es eine bestimmte Phase von Entwicklung verkörpert, ja verfestigt; es fordert Zukunft heraus, indem es dazu auffordert, es neu und anders zu machen; es muss aber selber stehen bleiben. Geht das Bauwerk in Metamorphosen durch die Zeit, so erzeugt das Kunstwerk innovative Reihen.

Kunstwerke muss man wohl, wenn ihre Zeit vorüber ist, gründlich archivieren und manchmal ersatzlos wegwerfen; natürlich weiss man nie, wann ihre Zeit wieder kommt. Bauwerke muss man verändern oder ersetzen. Versucht man sie loszuwerden, so hinterlassen sie Lücken die umso mehr wirken, wie etwa der Berner Christoffeltum; freilich auf eine neue Weise.

Mit der Zunahme der Bestände werden wir lernen müssen, Bau- und Kunstwerke, jedes auf seine Weise, nicht nur zu pflegen, sondern auch anständig loszuwerden. Sonst tun es andere unbedacht für uns; das kann man schon fast täglich erfahren. Da wird ein weiterer Unterschied zwischen Denkmälern und Kunstwerken einsichtig.

Ein Denkmal muss sich der Allgemeinheit aufdrängen, das Kunstwerk wird freiwillig aufgesucht. Es mag die Bauwerke geben, die in erster Linie Kunstwerke sind. Und es mag Bauherren geben, die Kunstwerke wollen. Aber ob ein pluralistisch-demokratischer Staat als ein Bauherr solcher Kunstbauwerke auftreten kann, bezweifle ich. Wahrscheinlich sind wir da in diesem eigenartigen Dilemma zwischen "für Einige" oder "für die Allgemeinheit" gefangen. Manchmal kann ich mich des Eindrucks schwer erwehren, unser Umgang mit Denkmälern hätte etwas aus der Feudalzeit oder dem Absolutismus ins Heute gerettet.

Wenn nun das Kunstwerk den subjektiv bestimmten Umgang geradezu sucht, so heisst das nicht, dass man für Bauwerke dasselbe fordern darf; und genau so wenig, dass es einen objektiven Umgang bedinge. Das Denkmal, das wir aus seiner Vergangenheit in eine Zukunft retten wollen, muss uns denken machen. Das kann es nicht gut, wenn es uns ein Objekt bleibt. Denn mit Objekten gehen wir um, wie wir wollen und wie es die Naturgesetze zulassen. Denkmäler als objetive Zeugen ihrer Ursprungszeit zu verstehen, legt sie fest und verfehlt demnach gerade ihre Möglichkeiten.

Für die Bauwerk-Denkmäler heisst das, sie in ihrer sich wandelnden Umgebung so zu erneuern, dass sie zugleich mitleben und dennoch auch von einer anderen Welt sind. Das heisst weder Anpassung an heute oder morgen, noch Erhaltung wie sie einmal gewesen sind.

Wir müssen wohl stärker ihre künftige Geschichte unserem Umgang mit ihnen zugrundelegen. Denn die Zukunft eines Denkmals, wenn wir sie sichern, ist sein unvermeidliches Fortwirken und darin liegt die einzige denkbare Begründung seiner Restaurierung. Nur eben die Zukunft kennen wir ja nicht. Aber die Zukunft des Denkmals als Möglichkeit muss unser Verständnis von Vergangenem und mithin unseren Umgang damit in der Gegenwart bestimmen.

 Inhalt

3. Fragen zum menschbezogenen Denkmal

Meine Fragen sind also: Was tun die zum Denkmal erkorenen Steine mit uns? Was für Anstösse geben Denkmäler uns und unseren Nachfahren? Haben die Kulturdenkmäler vielleicht widersprüchliche öffentlich--bekundete, heimlich--gemeinte und wirklich--bewirkte Wirkungen? Sollten wir nicht solches zu ergründen suchen? Wer ist es, der ihnen was für einen Vorwand bekundet? Oder wer denkt sich, was mit ihnen zu erreichen sei? Und, vor allem, auf welche Weise kommen sie zu ihren Wirkungen? Zu was für Wirkungen?

Ich werde diese Fragen nicht beantworten können. Dazu fehlen mir nicht nur vertiefte Kenntnisse der denkmalpflegerischen Arbeit. Ich habe auch keine sozialwissenschaftlichen Untersuchungen darüber gemacht. Das sinnvoll zu tun, würde nämlich, so scheint mir, eine sehr gründliche Analyse eines sehr weiten Feldes voraussetzen. Die ist noch zu leisten. Was ich hier anbiete, mögen Sie allenfalls als Vorarbeiten zu einer solchen Analyse verstehen. Ich werde eher zu sagen versuchen, wie ich an solche Fragen herangehen möchte.

Mein Verhältnis zu dem, was Sie in Theorie und Praxis tun, lebt zunächst einfach von Impressionen. Ich möchte mich irren können, und aus ihren Klärungen sollten wir beide lernen. Dass Sie mich als Nichtfachmann eingeladen haben, an Ihrem Kongress über ein solches Thema zusprechen, deute ich als Ihr Interesse an Beleuchtung von aussen her, als Bereitschaft zum Dialog in ungewohntem Licht.

Ich möchte dazu beitragen, Denkmäler klarer auf Menschen bezogen, auf Menschen von heute und morgen bezogen, zu verstehen. Ich möchte Ihnen ein Licht auf Menschen mit ihren Denkmälern und so vielleicht indirekt auch auf Denkmalpflege werfen. Sie wird Ihnen ungewohnt vorkommen.

 

 Inhalt

4. Objektive oder subjektive und die semiotive Welt

Die erste unserer Arten, mit Dingen oder Häusern umzugehen, ist die objektivierende. Objekten schreiben wir Eigenschaften und Funktionen zu. Und sie sind uns verfügbar. Sie überdauern Zeiten oder vergehen. Die Häuser schützen vor unangenehmer Witterung oder bösen Menschen. Sie verschlingen und machen Geld. Sie bewahren unsere Dinge auf. Sie zeigen den andern, wer wir sind oder sein möchten. Sie seien also solche schön oder hässlich, praktisch oder unpraktisch. Und wohl noch ein paar mehr solcher Funktionen.

Unsere zweite Art, die subjektivierende, beruht auf unseren Absichten und Zielen. Wir nehmen die Dinge in unsere Dienst und zwingen sie den andern auf, dringen mit ihnen in den Bereich der andern ein. Machet Euch die Erde untertan, ist der Generalbefehl unserer Zivilisation. Selbstverständlich sind wir die Meister der Dinge in unserem Dienst und die Dinge sind unsere Diener. Die Maschinen ersetzen uns die Sklaven, die Häuser machen uns komfortableres Klima, die Strassen führen uns, wo's lang geht, die Uhren rufen uns zur Pflicht. Oder etwa nicht?

Wir machen Häuser nach unterschiedlichen Spezifikationen. Zuerst wohl die besonderen Häuser für mancherlei Herrschaftsabsichten: Tempel und Kirchen, Lagerhäuser und Rathäuser; dann die Häuser mit denen wir auftrumpfen, die Paläste und Villen, und die Häuser mit denen wir Menschen direkt formen, die Arenen, Theater und Schulen, usw. Und zuletzt vielleicht auch die Wohnhäuser, mit denen wir sie indirekt formen. Wenn wir die Wohnkästchen schön rechtwinklig in lineare Ordnungen bringen, gleichartig ungleich aufeinandertürmen oder schön zufällig in die Landschaft streuen, entlarvt sich zwar, wes' armen Geistes Kind wir sind; aber gekästelt werden so die Menschen allemal. Und wir müssen bloss noch ausstreuen, das alles sei demokratisch und egalitär und gerecht und fortschrittlich.

Mit anderen Worten, unsere Allmachtsphantasien versuchen wir den Gegebenheiten aufzuprägen. Mit unglaublichem Erfolg, es ist nicht zu übersehen, haben wir die objektive Welt zu unseren subjektiven Gunsten verändert.

Aber etwas stimmt nicht, die Welt schlägt zurück. Wir haben unsere Lage in ihr wahrscheinlich falsch eingeschätzt. Das Klima macht nicht mit, die Lebenswelt erstickt, die Süchte nehmen zu je mehr wir von allem haben, das Sozialsystem dreht durch.

Things are in the saddle, and ride mankind.

So hat es der amerikanische Dichter Ralph Waldo Emerson schon um die Mitte des letzten Jahrhunderts treffend erfasst.

Verstehen wir eigentlich das Verhältnis zwischen den Menschen und den selbstgemachten Dingen? Denkmäler scheinen besonders geeignet als Beispiele zum Nachdenken und Neudenken. Sie greifen tief zurück in die Zeiten und wir wollen sie pflegen für eine lange Zukunft.

Reiten wir sie --
und wer reitet? Oder reiten sie uns --
und wie kommen sie dazu?

Wenn Sie mit den Ausdrücken subjektiv und objektiv den Umstand verbinden wollen, dass objektive Urteile über irgendwelche Sachverhalte unabhängig von Personen gelten sollen, subjektive jedoch, zunächst jedenfalls, nur für bestimmte Personen, dann kommen Sie freilich mit der Zukunft in Schwierigkeiten.

Gestehen Sie ihre Subjektivität ein, so beanspruchen Sie eine Stellvertreterrolle für Künftige, die Ihnen einiges Bauchgrimmen machen müsste, es sei denn Sie wären ruchlos oder naiv.

Reklamieren Sie ihre Bewahrungsentscheidung als eine objektive, dann widersprechen Sie tollkühn der Verfasstheit freier Gesellschaft. Überdies würden Sie damit die künftigen Urteile der Personen über ein Denkmal für zwingende, aus der Qualität der Objekte notwendig folgende Urteile halten. Also für Entscheidungen nach ewig gültigen Kriterien oder Gesetzen sozusagen. Das müssten Sie freilich dann auch für die heutigen gelten lassen; und damit hätten Sie, mit einem grandiosen Willkürakt, die Welt von allem Subjektiven befreit und zugleich sich selber widerlegt.

Aus Ausweg bleibt nur: Sie rechnen mit zwar divergierenden aber doch irgendwie kohärenten Entwicklungen in die Zukunft und wollen deshalb nicht darauf verzichten, Ihr jetziges Handeln von Ihrem Wissenkönnen über künftiges Geschehen mitbestimmt sein zu lassen. Wie könnten Sie anders Ihr Planen und ihr Tun verantworten?

So könnten Sie sich an Charles S. Peirces pragmatizistischer Maxime orientieren, welche besagt, ... "that a conception, that is, the rational purport of a word or other expression, lies exclusively in its conceivable bearing upon the conduct of life"... (eine Formulierung von 1905). Wittgenstein hat später, konziser aber weniger konkret, gesagt, die Bedeutung eines Wortes sei sein Gebrauch in der Sprache. Diese pragmatizistische oder perspektivische Denkweise lässt sich, so scheint mir, sehr direkt für das Denkmal anwenden, da man es ja gerade im Hinblick auf sein "conceivable bearing upon the conduct of life" pflegt.

Ich denke, wir brauchen in Verbesserung oder gar Ablösung unserer objektiven und unserer subjektiven Bestimmungsversuche, eine dritte Art, mit Dingen oder Häusern umzugehen, mit Denkmälern insbesondere, aber auch sonst allem und noch viel mehr. Ich nenne sie in Weiterführung von Peirces Semiotik die semiotive. Peirce begründete jene Art von Zeichentheorie, welche die Deutung von Zeichenhaftem als die Produktion von neuen Zeichencharakteren versteht.

Eine solche Semiotik ist nicht so sehr eine Bedeutungstheorie als eine allgemeine Verursachungs- oder Bedingungstheorie. Sie erklärt die uns geläufige Notwendigkeits- oder Zufälligkeitskausalität von elementaren Objekten, wie sie Naturwissenschaft suggeriert hat, zu einem Spezialfall. Eine solche Semiotik findet es ebensowenig ausreichend, reale Sachverhalte, die einander bedingen oder miterzeugen, auf etwas Geistiges zurückzuführen, was ausserhalb dieser Sachverhalte bestehe, sei es ein Noumenales oder Numinoses, sei es persönlich oder überpersönlich. Denn was ist, folgt aus dem Zusammenhang, in dem es geworden ist, und folgert sich aus seinen Möglichkeiten in anderen Zusammenhängen.

Als Psychologe möchte ich aus der riesigen Kluft hinausklettern, welche der Vollzug der kartesianischen Dualismen zwischen den Natur- und den Geisteswissenschaften in den letzten zwei Jahrhunderten aufgerissen hat. Ich halte es nicht länger aus, dass Wissenschaften vom Menschen wie die Psychologie sich ihrerseits dieser Attitüde entsprechend zweigeteilt haben in akademische Quasi-Naturwissenschaft einerseits und schöngeistiges Reden und säkulare Seelsorgepraxis. anderseits. Auch schon eine oberflächliche Betrachtung der Kondition der Menschen kann zur Aufforderung werden, "Leib und Seele" oder Menschen in ihrer Umwelt und Kultur als ein Ganzes zu sehen und zusammen zu untersuchen.

Das Denkmal ist notwendig ein Materielles und ein Immaterielles, hat Tilman Breuer in seinem Vortrag gesagt; und wir bewahren es wegen seines Immateriellen als Materielles. Wir scheinen in der Praxis nicht selten das Verhältnis zwischen den beiden zu verlieren. Liegt das daran, dass auch dieser Dualismus, parallel dem vom Objektiven und vom Subjekt, uns verführt? Aber was ist denn dieses Immaterielle und wie können wir mit ihm umgehen?

Ich denke, wir sollten inbensiv daran arbeiten, diesen epochalen abendländischen Mythos aufzulösen. Die triadische Semiotik von Charles Peirce ist in meinen Augen, 130 Jahre nach ihrer Inauguration, immer noch der meistversprechende formale Ansatz dazu. Ich versuche ihn fortzuführen, indem ich peirceanische Semiotik auf das ökologischen System Menschen in ihrer Kultur anwende.

 

 Inhalt

5. Skizze einer Semiotischen Ökologie

Die semiotische Ökologie möchte das Wechelspiel zwischen Menschen und ihrer natürlichen und kulturellen Umwelt neu begreifbar machen. Es ist weder naturalistisch-materialistisch reduzierbar, noch erschöpft es sich in einem Sprachspiel. Sein entscheidender Charakter liegt im Werden fast aller Dinge durch Dialog. Solche Vorstellungen sind im 18. Jahrhundert, nach der aufklärenden Relativierung einer göttlichen Ordnung, durchaus schon gepflegt worden. Sie wurden in den beiden Jahrhunderten seither erneut durch Vorstellungen absoluter Vernunft und gesetzmässiger Ordnung verdrängt.

Der Ansatz der evolutiven Semiotik ist sehr allgemein; aber vielleicht ist das gemeinsame Werden von Menschen und Menschengruppen in den Kulturen sein für uns unmittelbar wichtigster Fall. Ich versuche, so gut es in knapper Weise geht, eine Idee davon in einer bildlichen Diskursform zu übermitteln.

Denken Sie sich zunächst frühe Hominiden vor 3 bis 5 Millionen Jahren. Diese relativ komplexen Wesen lernen natürlich, wie andere komplexere Arten auch, im individuellen Lebenslauf. Das heisst, über ihre instinktgetragenen Interaktionsweisen mit ihrer Umwelt, akkumulieren und integrieren sie Essentielles aus ihren Erfahrungen: zB über die Bekömmlichkeit und Schmackhaftigkeit dieser oder jener Nahrung, über Arten und Weisen, solche zu finden und ganz besonders über die Eigenheiten der andern im Sozialverband; sie machen und pflegen sich Spiel- und Kampfgenossen, Freunde und Feinde u.a.m. Ihr Handeln ist aus diesem erworbenen Schatz an Wissen und Können dann ähnlich, obgleich flexibler, bestimmt wie schon aus ihrer Instinktausstattung. Manches davon lässt sich besser als Modifikation von Instinkten verstehen denn als wirklich Neues. Ich nenne das Ganze dessen, was ihr Verhalten steuert oder regelt, ein dynamisches Gedächtnis. Mit guten Gründen lokalisieren wir es in den Köpfen, in dem, was wir objektiv Gehirn oder Zentralnervensystem (ZNS) nennen; aber es ist, subjektiv gesehen, auch "in" der sogenannten Seele oder im Geist. Eigentlich ist es eine Art Wissen über die Umwelt; und Können, wie man darin bestehen kann.

Wie geht dieses Sammeln und Verkörpern von Erfahrung vor sich? Bis heute weiss das niemand. Wir können uns lediglich ein sehr allgemeines Bild davon machen. Es muss damit zusammenhangen, was Wahrnehmen und Denken und Fühlen etc. im Zentralnervensystem hinterlassen und was daraus wird. Aber unsere biochemischen und neurophysiologischen Beschreibungsversuche sind äusserst oberflächlich, vergleichbar der Beschreibung einer Bibliothek nach dem Topographie der Gestelle und nach dem Flächenanteil und der Verteilung von schwarz auf den bedruckten Seiten und ob es in Antiqua, Fraktur oder andern Schriftbildern erscheint.

Seit der Antike haben wir für diese Dualität von Behälter und Inhalt eine mehr oder weniger explizite Theorie, die Zeichentheorie. Da untersuchen wir sogenannte Zeichen, dh materielle Erscheinungen in bestimmter Formung, eine Lautfolge, ein Schriftbild, ein Bildwerk, ein Denkmal; und die interessieren uns nicht um ihrer selbst willen, sondern weil sie etwas bedeuten sollen. Und wir machen Listen von solchen Zuordnungen von materiellen Zeichenträgern und ideellen Zeichenbedeutungen und finden und erstellen Regelsysteme darüber, wie wir die Zeichen in solche Anordnungen und Folgen bringen, dass wir und die andern ihnen jene Bedeutungen entnehmen können, die wir in sie hineinzustecken glauben.

So leuchtetes wohl auch ein, obwohl es zunächst ungewohnt scheint, wenn man sagt, was an Strukturen im ZNS aufgebaut werden, seien auch so etwas wie Zeichen. Es müssen jedenfalls irgendwelche Prozesse sein, die aus Molekülen mit Valenzen und Ladungen bestehen und in chemischen und elektrischen Vorgängen auf- und um- und ein- und abgebaut werden. Das Unangenehme dabei ist bloss, dass wir diese Zeichen, obwohl sie materiell manifest sind, in ihren Bedeutungen neuro- oder bio-wissenschaftlich nicht greifen können. Aber die Annahme, dass etwas Immaterielles wie Bedeutung in etwas Materielles wir neuronale Systeme "gepackt" wird und wieder ausgepackt und zum Wirken gebracht werden kann, drängt sich auf diesem Hintergrund schon auf. Wie Denkmäler eben, auch wenn überwiegend banaler Alltag im Hirn steckt.

Das Elend mit dieser geläufigen Zeichentheorie ist nun freilich, dass sie an den Dualismen festhält. Dass sie eine objektive Welt von Zeichenträgern einer subjektiven Welt von Zeichenbedeutungen gegenüberstellt und die Korrespondenz zwischen den beiden Welten mit der grössten Sehnsucht nach der prästabilisierten Harmonie behandelt. Was man tun kann, ist einzig: die Zeichen spielen lassen und ihre Wirkungen beobachten. Das gilt übrigens für die äusseren ebnso wie für die inneren Zeichen.

Wie es zu den Zeichen mit ihren zwei Seiten kommt: dazu hat die herkömmliche Zeichentheorie keine Antwort ausser, die Leute müssten sich halt einigen darüber, wenn nicht freiwillig, dann mit sanftem oder hartem Zwang. Kirchen, Schulen, Medien, Training und v.a.m. darunter wohl auch Denkmäler, vom Kruzifix am Wegesrand bis zum Triumphbogen in der Stadtmitte, sind Einrichtungen oder Versuche, die Köpfe der Menschen einer Kultur mit ähnlichen internen Zeichen zu bestücken.

Aber beide Welten, die objektive wie die subjektive, lassen sich solche Fixierungen eigentlich nicht recht bieten. Die objektive Welt ist gar nicht so ewiggesetzlich ein für allemal festgelegt. Jedenfalls unsere Planetenoberfläche ist in den letzten paar Jahrhunderten erstaunlich massiv verändert worden, und zwar weder nach zeitlosen Gesetzen noch einfach zufällig. Die Zeichenbedeutungen in den Köpfen der Menschen und die Zeichenträger draussen, letztere zum Teil unter hektischer Beteiligung von Menschen, wuchern um die Wette. Die sie sammeln und inventarisieren wollen, rennen immer nur hinterher.

Einmal erfunden und dann vor einigen tausend Jahren in ihren potentiellen Wirkungen entdeckt, haben clevere Typen bald einmal herausgefunden, dass die andern mittels Herstellung einer Umwelt von Zeichen viel leichter zu lenken sind als wenn man jeden einzeln zu erziehen und zu indoktrinieren versucht. Mit Denkmälern eben unter anderem. Gegen Festlegungsversuche der subjektiven Welten auf dem direkten oder indirekten Weg durch allerlei Herrschsüchtige haben dann die Menschen die subjektive Freiheit erfunden. Derzeit wollen uns Herrschsüchtige mit Architektur, Stadtplanung, Verkehrssystemen, Medien und vor allem mit Industriegütern und der zugehörigen Werbung bedrängen. Unsere Innenstrukturen sind jetzt ziemlich voll davon und die meisten können sich ihnen kaum entziehen, sind wie süchtig danach. Jedenfalls in ihrem Handeln tagaus tagein ziemlich beherrscht davon. Die Dinge sitzen im Sattel und reiten uns.

Vielelicht entwickeln Sie aus dieser Skizze die Vorstellung einer Art Karrussell zwischen innen und aussen. Von einem mächtigen Kreiseln zwischen den Köpfen innen und den Dingen draussen unter ständigem Aufbau neuer Strukturen drinnen -- die Psyche --und draussen -- die Dinge der sogenannten Zivilisation.

An diesem Mäuerchen kommen ein etwas ängstlicher, aber neugieriger Junge und ein Psychologieprofessor einander näher. Der Junge fragt nach der Seele und bekommt zu seinem Erstaunen die Antwort, Seele sei auch in diesen Steinen. Sie finden dann zusammen heraus, wieviel von unserer Lebensweise doch eigentlich in Häusern, Städten und Dingen stecke, wie sehr das alles unser Handeln mitbestimme. Seele sei doch, was unser Handeln steuere.

Aus einer Bildgeschichte, gezeichnet von Camille Halter nach Angaben von Alfred Lang, ©1991 Unipress Bern.


Ich weiss aber nicht, ob Sie, was da geschieht, materiell oder immateriell begreifen wollen oder können. Jedenfalls ist es mächtig wie der allerstärkste Geist; bloss sind wir zur Hauptsache eher die Objekte als die Subjekte davon. Und zugleich ist es materiell, weil ja alles viel Stoff und Energie umsetzt; bloss habe ich noch nie von einem Naturgesetz gehört, dem es gehorchen soll. Die Naturwissenschaftler lassen wohlweislich die Finger davon. Und die Sozialwissenschaftler, welche die Leute darüber befragen, die kann man doch wohl nur ernst nehmen, wenn man selber wie die Fragenden und die Befragten voll im Karrussel mitdreht.

Den Schwung hat das Karussell davon, dass Menschen diese Kultur- oder Zivilisationsdinge andauernd herstellen und brauchen und wegwerfen; und dass Menschen dann von ihnen eingefangen und erfüllt werden und dann wiederum dasselbe tun, in spiralenden Kreisen gefangen. Was da ausserhalb herumliegt und herumsurrt, Häuser, Autos, Kinderspielzeuge, Möblierungen, Computer, Sporteinrichtungen -- und natürlich Denkmäler -- kann nur deshalb funktionieren, weil die Menschen Abkömmlinge davon in ihren Köpfen tragen. Und neue solche Dinge und Vorgänge kommen nur deswegen zustande, weil diese damit ausstaffierten Menschen sie in den Köpfen um- und umdrehen und dann Varianten erfinden, entwerfen und bauen und neu wieder auf den Markt zwischen die Menschen werfen.

Aus einem solchen Bild lässt sich wohl einsehen, dass der Unterschied zwischen den im Drehen aufgebauten Innenstrukturen und den zivilisatorischen Aussenstrukturen nicht ein so tiefgreifender sei, wie es unser Menschenbild haben will. Sondern dass eben beide einen Zeichencharakter der produktiven Art aufweisen. Und wenn wir uns wirklich eine Vorstellung vom Funktionieren der Welt und uns selbst darin, jenes Karrussells eben, machen wollten, dann reiche unser inneres Denken und Fühlen ja nicht sehr weit, so unentbehrlich es auch sei. Dann müssten wir ohnehin externe Modelle entwickeln, Experimente machen mit allem, wovon wir die "conceivable bearings upon the conduct of life" verstehen wollten. Dazu brauche es natürlich eine Zeichenlogik anderer Art als von der Zuordnung von Zeichen und Bedeutung. Das müsse eine sein, welche Zeichenhaftes als etwas verstehe, welches in geeigneten Umständen weitere Zeichencharaktere generieren könne.

Und genau das tun natürlich menschliche Innensysteme und Kulturdinge, darunter auch Denkmäler. Bauwerke, welche in neuen menschlichen Zusammenhängen zu neuen werden, teilweise, weil sie die alten bleiben, teilweise, wenn sie erneuert werden.

 Inhalt

Zusammenfassung

In diesem Beitrag wird vorgeschlagen, den Umgang mit dem Denkmal von einem nicht-kartesianischen Menschenbild her zu verstehen. Die Menschen werden hier der Natur und Kultur nicht entgegensetzt, als ihre Opfer oder Herren, sondern als verschiedenartige aber gleichwertige Partner eines umfassenden evolutiven Dialogs verstanden.

Die Denkmäler aus ihrem Status als Objekte unserer Verfügbarkeit und als willfährige Instrumente willkürlicher Rekonstruktionen unserer Geschichte herauszuführen, dürfte früher oder später unverzichtbar werden. Denn Denkmalpflege speist sich heute überwiegend aus reaktiven Gefühlen, aus der wachsenden Angst vor dem Verlust der Kontinuität der menschlicher Kondition.

Die Frage muss gestellt werden, ob die Denkmalpflege über Kriterien verfügt, welche bei resignierenden Gefühlen und schwindenden Mitteln auch noch Anerkennung finden werden. Ob sie eigentlich durch ihr in Zeit und Raum punktuelles Konservieren geschichtliche Kontinuität erhöht; oder ob sie, wie zeitgenössisches Bauen, eher auch noch zur Zersplitterung der menschlichen Lebenslage beiträgt. Ob Denkmäler Identität vermitteln können; oder ob sie nicht vielmehr durch ihre kontrastierende Existenz zu einer aktuellen Kultur Aspekte einer Vergangenheit in einen evolutiven Dialog einbringen, welcher auf mögliche Wirkungen in eine Zukunft hin orientiert ist.

Antworten auf solche Fragen verlangen, den Zusammenhang zwischen Menschen und ihren Bauten gründlicher zu bedenken, als dies üblich gewesen ist im zu Ende gehenden Zeitalter des souveränen Subjekts, das sich alles leisten zu können glaubt, seinen Objekten alles zuzutrauen dürfen meint.

Der Vortrag skizziert die Grundzüge einer semiotischen Ökologie anwendbar zum Beispiel auf die dialogische Evolution von Menschen in ihrer gebauten und gestalteten Welt. Für die Denkmalpflege ergeben sich Folgerungen in Richtung einer Verstärkung des Grundsatzes, dass die gepflegten Denkmäler ihre frühere Existenz im gegenwärtigen Sozialsystem auf zukunftsfähige Weise geltend machen sollen.

 Inhalt


MERKSÄTZE

1. Kein Denkmal kann bloss objektiver Zeuge seiner Ursprungskultur sein; denn es wird auch ganz andere Wirkungen haben.

2. Wenn es nicht mitlebt, kann kein Denkmal Kontinuität in der Zeit stiften; schon gar nicht als Einzelobjekt.

3. Identität für eine Kultur kann ein Denkmal nur erschliessen, nicht vertreten.

4. Denn was immer etwas geworden ist, entspringt einem einmaligen sozio-kulturellen System

5. und kann als solches nur in diesem und in dessen direkten Fortentwicklungen eine Rolle spielen.

6. Dem Denkmal als Zeugnis muss man zwei Fragen stellen: Zeuge wovon und Zeugnis wofür?

7. Kontinuität ist im harmlosen Fall persönliche Illusion; wahrscheinlicher ist sie partikuläre Konstruktion von Geschichte.

8. Das Denkmal unter der Glasglocke ist kein Denkmal, weil man nur an der Glasglocke anstossen kann.

9. Das Denkmal ist nicht wegen seine Vergangenheit interessant, sondern für unsere Zukunft und deren Bezug auf eine Vergangenheit.

10. Lässt sich eine andere Zeit und Kultur darauf ein, so bekommt jedes Denkmal jedesmal eine neue Rolle.

11. Das Denkmal als Träger von Differenz freilich, als Anstoss zum Weiterdenken und -schaffen, ist jeder lebendigen Kultur unverzichtbar.

12. Des Denkmals Identität von damals und seither wird niemand übernehmen wollen, der bei Sinnen ist; wohl aber vielleicht mit ihr in einen Dialog treten.

13. In einer pluralistischen Gesellschaft wird man über den Grad des Zusammenhangs des Damals-Denkmals mit den verschiedenen Heute-Kulturen streiten wollen und müssen.

14. So ist das Denkmal unentbehrlich beim Finden eigener und gemeinsamer Identität und Differenz; aber nicht weil es eine anbietet, sondern weil es mögliche kontrastiert.

15. Freilich niemals um ihrer selbst willen, sondern im Zusammenhang mit der eigenen gemeinsamen Zukunft, der Entwicklung heute.

16. Dem Denkmal als Bindekraft und Differenzmuster wird man sich anvertrauen müssen, wenn man nicht der Illusion verfallen ist, man könne sein Leben allein und von null an führen.


... dass ein Begriff, das ist der vernünftige Sinn eines Wortes oder eines anderen Ausdrucks, ausschliesslich in seiner denkbaren Auswirkung auf die Lebensführung liegt... (C.S. Peirce, Collected Papers, Vol. 5, $412, Cambridge Ma., Harvard U. Press, 1934).

 

6. Literaturhinweis

Lang, Alfred (1993) Zeichen nach innen, Zeichen nach aussen -- eine semiotisch-ökologische Psychologie als Kulturwissenschaft. Pp. 55-84 in: Rusterholz, Peter & Svilar, Maja (Eds.) Welt der Zeichen -- Welt der Wirklichkeit. Bern, Paul Haupt.

Lang, Alfred (1993) Non-Cartesian artefacts in dwelling activities -- steps towards a semiotic ecology. (2) 138-147.

 Inhalt | Top of Page