Alfred Lang

University of Bern, Switzerland

Newspaper Column 1991

Vom Lang'schen Prinzip

1998.00

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 Last revised 99.05.02

Bund-Kolumne. Der Bund (Bern) Nr. 137 vom 15.6.91, S.17

© 1998 by Alfred Lang

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"Man sollte denen nichts, aber auch gar nichts, allein überlassen!" Meines Grossvaters Stimme klingt mir noch in den Ohren. Es könnte auch der Stosseufzer Ihrer Grossmutter oder Ihres Onkels sein.

Wem nichts allein überlassen? Nun, mein Grossvater meinte die Zuständigen. Alle, die in dieser aufgabenteiligen Lebenswelt einen Auftrag übernommen haben. Jede und jeder ist fast ständig irgendwo zuständig: Es geht um Aufgaben, selbst übernommene oder vertraglich erteilte, deren Bearbeitung eine(n), viele oder alle betrifft. Die Rede ist von den Fachleuten und den Verwaltern, von den Sachbearbeitern und den Politikern.

Wir wollen, dass die Zuständigen stets nach Grundsätzen handeln, welche für jede und jeden gültig sein können: nach dem Kant'schen Imperativ also. Wir wissen, dass nicht alle es immer tun, sei es absichtlich, fahrlässig oder gegen ihren besten Willen. Darum sollte man sie, in allen drei Fällen, nicht allein lassen.

Das zu Ehren meines Grossvaters benannte Prinzip heisst also: Misch Dich ein, wo immer Du es für nötig hältst!

Aber bedenke: du kannst nicht immer und überall! Und tu es gründlich, aber nur unter zwei Voraussetzungen: Erstens musst Du nach reiflicher Überlegung und Rücksprache mit kritischen Freunden zum Schluss gekommen sein, dass dieser Vorgang, diese Einrichtung, diese Gewohntheit sich zum Nachteil von irgendjemandem, einem oder vielen, auswirkt und daher verbessert werden muss. Und zweitens musst Du ausschliessen können -- auch das kannst Du selten ganz allein beurteilen --, dass Deine Intervention eigentlich zu Deinem oder Deiner Freunde oder Verwandten Vorteil dient. Hüte Dich also vor Einbläsern. Auch vor Weltbeglückern aller Art, die wissen, wie etwas, oder gar alles, sein sollte. Im Gegenteil: Einmischung in deren Sache ist angezeigt; denn sie halten sich ja selber für Zuständige.

Schauen Sie sich bei Ihnen um: der Alltag ist voll von dummen Vorgängen und erstarrten Gewohnheiten, die nach Einmischung verlangen. Werden Sie misstrauisch, wenn ein Zuständiger auf Ihre Nachfrage behauptet, das sei immer schon so gewesen. Oder der Computer habe das so gemacht. Oder so wolle es das Gesetz. Man habe doch nur den Auftrag, das so und so zu machen. Wo käme man hin, wenn immer jeder und jede ...

Doch Einmischung ist das Prinzip der Demokratie. Wir alle, die wir zusammenleben wollen, delegieren an diese und jene Personen oder Gruppen, für uns diese und jene Aufgaben zu erledigen.

Demokratie, also gemeinsame Herrschaft, muss einschliessen, dass den Beauftragten ein Handlungsspielraum und sogar ein langer Atem gewährt wird; sonst können sie fast nur unvernünftig handeln, wie wir das heute bei so vielen unserer Politiker mit Entsetzen beobachten müssen. Es muss ebenso einschliessen, dass wir den Beauftragten auf die Finger schauen und Rechenschaft verlangen. So höflich wie beharrlich. Aufträge müssen zurückgenommen werden können. Können wir das?

Demokratie, also allgemeine Herrschaft, ist mit zunehmender Perfektion dabei, sich selber zu widerlegen. Mit der wachsenden Grösse der sozialen Systeme sah man sich genötigt, das Delegationsprinzip immer höher zu treiben; die gemeinsame Herrschaft wurde zur Fiktion.

Mit der wachsenden Komplexität der Aufgaben hielt man sich für gezwungen, immer mehr von den allgemeinen Aufgaben nicht mehr auszuhandeln, sondern festzulegen nach angeblich allgemeinen Gesetzen abzuwickeln. Die Lebensgemeinschaften werden somit nach dem Modell von Maschinen betrieben: mit auswechselbaren, numerierten Teilen (kennen Sie Ihre AHV-Nummer auswendig?) und mit einem unübersehbaren und ständig wachsenden Betriebshandbuch (was schätzen Sie, wie viele Laufmeter Büchergestell es braucht, um alle unsere Vorschriften und Gesetze und Ausführungsbestimmungen aufzustellen?).

Wenn Politiker mit dem Gedanken spielen, das Volk abzuschaffen, weil es anders entscheidet, als sie die Maschinerie lenken möchten, ist Zeit für Alarm.

Seitdem die Schweiz in den letzten gut hundert Jahren immer mehr zentralisiert worden ist, haben sich unsere Delegierten immer mehr zu Zuständigen gemacht und uns eingeredet, nichts ginge ohne sie. Wer Lust auf etwas Einmischung zeigte, wurde entweder in die Kartellpflicht genommen oder ins Abseits geschoben. Neuerdings mischen sich zunehmend mehr Leute häufiger und intensiver ein. Und siehe da, die Maschinerie kommt arg ins Wanken. Sie wird dennoch nach "bewährten" Rezept weiterbetrieben: System ergänzen, verfeinern, vergrössern, rationalisieren, ... Was für Chancen werden Demokraten haben, sich in europäische Angelegenheiten einzumischen?

Übrigens, eine wirksame Form der Einmischung ist die Anerkennung von gelungenen Aufträgen. Zuständige sollten immer möglichst direkt erfahren müssen, was sie mit ihren Lösungen bewirken. Und was hindert Sie, Ihren eigenen Namen über mein Prinzip zu setzen?

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