Alfred Lang

University of Berne, Switzerland

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Neue Zürcher Zeitung Nr. 51 vom 2./3. März 1991, S. 21

 

«Wettbewerb in der Grundlagenforschung»

Ein Beitrag zur Diskussion


So sehr ich dem von Herrn Rieppel (NZ Nr. 27) hochgehaltenen Grundsatz zustimme, man möge ob der nützlichen anwendungsorientierten Forschung die Grundlagenforschung nicht vernachlässigen, so sehr muss ich zu mehr Vorsicht mahnen. Die Bewertung der Güte von Grundlagenforschung ist eine wesentlich heiklere Angelegenheit, als er glauben macht, und erfordert von den Geldgebern einen längeren und ruhigeren Atem, als diese oft haben, unter den Bedingungen staatlicher Forschungsförderung haben können.

 

Jenseits des Marktprinzips

Herr Rieppel verweist auf Erfolgsmassstäbe wie die Vorhersage der Qualität eines Forschers oder einer Forscherin anhand ihrer bisherigen Leistungen, die Beurteilung ihrer bisherigen Leistungen auf Grund der Anzahl und der Qualität ihrer Fachpublikationen, die Einschätzung der Qualität ihrer Publikationen aus dem Renommee der Zeitschriften, deren Peer-Review-Verfahren diese Forschung bestanden hat, usw. Nach dem Peer- bzw. Senior-Review-System verfährt man auch in der Bewertung der Nachwuchskräfte. Rieppel beschreibt dieses Verfahren im Detail macht aber nicht nur dessen Risiken zu wenig deutlich, sondern verschweigt auch oder verleugnet gar, dass die Grundlagenforschung kurzfristig gerade nicht einem Marktprinzip folgt, sondern hochgradig «kartelliert» ist und demnach nicht allen Tüchtigen die gleichen Chancen bietet. Ich will meine Vorsichtsmahnung skizzenhaft nachvollziehbar machen.

Je nach dem Spezialisierungsgrad eines Beitrags kommt für das Peer- bzw. Senior-ReviewVerfahren eine verhältnismässig kleine Zahl von Fachkollegen bzw. Fachrivalen der Autoren in Frage. Auch wenn man der noch kleineren Zahl der Zeitschriftenherausgeber oder Nachwuchsförderungskommissionsreferenten fachliche Neutralität zuzuschreiben gewillt ist, ist leicht einzusehen, dass der Auswahl der Rezensenten und Gutachter und ihrer Arbeitsweise eine Schlüsselrolle für die Qualitätsbewertung von Wissenschaft und deren Folgen zukommt.

Zensur: Der typische Reviewer - auch ihm sei Objektivität des Urteils zugute gehalten - wird im Regelfall von seinem wissenschaftlichen Standpunkt aus urteilen müssen. Gedanken und Untersuchungen, die von einem anderen Ausgangspunkt ausgehen, haben eine geringere Anerkennungschance. Beobachtbar ist auch die Neigung, das Urteil auf nebensächliche Detailfragen zu konzentrieren, weil das «objektiver» wirkt. Reviewer müssen zudem im Wettstreit um die Herausgebergunst abweichende Urteile vermeiden; nur so können sie auf die Dauer als dem Kreis der Spezialisten zugehörig gelten.

Selbstzensur: Der typische Forscher, im Bestreben um Anerkennung seiner Erkenntnis, wird den von ihm vermuteten Denkweisen und Beurteilungskriterien der möglichen Reviewer bei der Themenwahl und bei der Ausarbeitung seiner Artikel Rechnung tragen. Gespräche unter (vor allem jüngeren) Forschern zeigen das oft recht drastisch. Diese positive Rückkoppelung der Forschung wirkt unter anderem in Richtung immer höherer Spezialisierung.

Disziplinierung: Zwar wissen wir längst alle, dass die Herausbildung der Disziplinen und die zunehmende Spezialisierung innerhalb der Disziplinen Resultat eines historischen Prozesses ist, der bei aller Orientierung an der Erfahrungswelt doch recht zufällig gerade so verlaufen ist, wie er verlaufen ist, und ebensogut recht anders hätte verlaufen können. Aber unsere Grundlagenforschungsförderung und unsere Publikations- und Rezeptionspraxis können dem mit ihrem Kästchendenken kaum Rechnung tragen. Je länger, je mehr liegen die wichtigsten und vernachlässigtsten Fragen und vielleicht die folgenreichsten Antworten zwischen den Disziplinen. Interdisziplinäre Forschung erfordert aber nicht nur besonders grosse Kompetenz, sondern verlangt unter den gegebenen Bedingungen auch noch selbstverleugnenden Heroismus.

 

Nivellierungsgefahr

Es hat seit einigen Jahrzehnten in den meisten Disziplinen eine Verlagerung des Bewertungsprozesses wissenschaftlicher Arbeit in den «anonymen Reviewprozess» stattgefunden. Dem öffentlich (in wissenschaftlichen «Publikationen») ausgetragenen Gelehrtenstreit zur Scheidung der angemessenen von den irrigen Auffassungen über einen Sachverhalt geht eine Art Geheimratspolitik voraus, bei der verhältnismässig wenige Wissenschafter in erstrebenswerten Positionen (Herausgeber, Mitglieder der forschungsfinanzierenden Instanzen) unter Ausschluss der Öffentlichkeit darüber entscheiden, was überhaupt erforscht und was dem Gelehrtenstreit ausgesetzt werden soll. Früher war man auf Gedeih und Verderb den Autoritäten ausgeliefert; aber es gab meistens mehrere davon zur Wahl, des einen Protektion war als Freiraum zu nutzen, der andere war öffentlich herauszufordern, vielleicht gar mit Hilfe eines dritten. Die heutigen Autoritäten sind vornehm-anonym, das heisst objektiv. Und sie sind zweifellos eine wettbewerbsorientierte, d. h. auf Wahrung und Ausdehnung ihres Einflusses bedachte Gruppe.

Der kreative Forscher ist in diesem System aufgefordert, sich in eine der gängigen Spezialisierungen einzufügen und nur mässig innovativ zu sein. Andernfalls vergibt er sich Chancen zur Publikation und zur weiteren Forschung. Innovative Ideen führen ihn (zunächst) fast sicher ins Abseits, auch wenn er Grund hat zu vermuten, etwas Gutes und Wichtiges anbieten zu können. Man konsultiere dazu Biographien beispielsweise der Nobelpreisträger unter dem Gesichtspunkt der Zeit zwischen Forschung und Preisverleihung.

Man darf vermuten, dass das Verfahren von der Mehrzahl der Beteiligten in guten Treuen gehandhabt wird. Es entstand als ein vernünftig scheinendes Mittel zur Bewältigung der galoppierenden Mengeninflatzon in der Forschung. Auf die Dauer wird man es aber revidieren müssen. Denn was es an guter Erkenntnis unterdrückt, wieviel es zur Überspezialisierung beiträgt, wie es die Auswahl und Bearbeitungsweise von Forschungsfragen durch die Forscher selbst beeinflusst, wie es den Gang der Wissenschaft bestimmt usw., das alles fällt auch ins Gewicht. Nebenwirkungen der beschriebenen Art sind exemplarisch durchaus dokumentierbar, aus naheliegenden Gründen sind sie nicht systematisch belegt.

Alfred Lang, Professor für Psychologie (Bern)

 


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