Alfred Lang

University of Bern, Switzerland

Conference Presentation 1974 / 1984

Versuch einer internen Systematik der Umweltpsychologie (1974)

1974.01

@EcoPersp @EnvPsy @CuPsy @Method @SciPol

43 / 53KB 1 Tabelle
Last revised 98.10.31

Vorgetragen an der ersten Forschertagung der Schweizerischen Gesellschaft für Psychologie am 8./9. November 1974 in Lausanne

© 1998 by Alfred Lang

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Inhalt

 


Vorbemerkung: Der Text ist 1974 im Hinblick auf das Salzburger Symposium (KAMINSKI 1976) geschrieben worden. Infolge Krankheit konnte er dort nicht vorgetragen werden, wohl aber an der ersten Forschertagung der Schweizerischen Gesellschaft für Psychologie am 8./9. November 1974 in Lausanne.

Als Diskussionsgrundlage für das Symposium "ÖKOPSYCHOLOGIE", organisiert von Alfred Lang aund Urs Fuhrer am 4./5. Oktober 1984 in Basel, Psychologisches Institut wurde der Text mit wenigen stilistischen Retouchen übernommen. Für einen Nachdruck 1989 wurden geringfügige terminologische Ergänzungen vorgenommen.

 

Trotz mancherlei frühen, auch Psychologen zugänglichen Anregungen (von UEXKÜLL, LEWIN u.a.) hat sich erst in den frühen 60er Jahren eine Umweltpsychologie herauszubilden begonnen. Die anglo-amerikanische Literatur unter diesem Stichwort ist inzwischen bereits zu schwer überschaubaren Mengen angewachsen (z.B. EDRA Kongresse), wobei eine enorme Heterogenität der aufgenommenen Problemstellungen sowie der Lösungsversuche einem offensichtlichen Mangel an, aber auch Bedürfnis für integrierende theoretische Ansätze gegenüberstehen (z.B. RAPAPORT, 1973). Weltweit scheint zudem das Resonanzen auslösende Schlagwort "Umwelt" zur Verstärkung eines fast hektischen Marktes und damit zu forschenden und propagierenden Aktivitäten in diesem Bereich beizutragen.

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Umweltpsychologie als angewandte und als Grundlagendisziplin

Umweltpsychologie hat besonders als Beitrag zu einer interdisziplinären Bemühung um eine menschengerechte(ere) Gestaltung der relativ permanenten Welt der Artefakte im Grossen von sich reden gemacht: (Landschaftsveränderung, Siedlungsplanung, Architektur für Wohn- und Arbeitsquartiere, Verkehrssysteme bis zur funktionsgerechten Ausgestaltung von Schulen, Anstalten, Betrieben, Spitälern usf. Im Verband mit Biologie, Anthropologie, Soziologie, Architektur, Geographie, Sozialmedizin, Betriebswissenschaft und andern Disziplinen scheint die Psychologie eine gewisse Führungsrolle besonders bezüglich der methodischen und theoretischen Aspekte einzunehmen, während die Formulierung von Fragestellungen sowie die wertende Setzung von Zielen und Prioritäten in erster Linie von andern beteiligten Disziplinen erwartet werden muss. Die Schlüsselrolle der Psychologie in dieser Bemühung ist unschwer einzusehen, wenn man bedenkt, dass Natur und Artefakte immer zuerst handelnde und erlebende Menschen betreffen, die ihnen ausgesetzt sind; und wenn man die Artefakte verbessern will, die Gestaltung der Welt bewusst an die Hand nehmen will, so muss man zunächst das Handeln von Menschen verändern, die ihrerseits auf die Welt einwirken. In diesem Sinne ist Umweltpsychologie eine angewandte Disziplin, die in Kooperation mit andern empirischen Wissenschaften und in enger Verbindung mit verschiedenen normativen Disziplinen Wesentliches zur Verbesserung der Lebensqualität beizutragen verspricht. So verstanden nimmt Umweltpsychologie im Ganzen der Psychologie eine ähnliche Stellung ein wie etwa die angewandte Sozialpsychologie oder die angewandte Entwicklungspsychologie oder die angewandte Differentialpsychologie, wo ebenfalls Fakten, Theorien und Methoden über besondere Aspekte des menschlichen Daseins in Verbindung mit Wertsetzungen privaten oder gesellschaftlichen Ursprungs nutzbar gemacht werden.

Umweltpsychologie kann aber ebenso wie Sozial-, die Entwicklungs- und die Differentialpsychologie auch als eine Grundlagendisziplin unseres Faches verstanden werden. Wenn die Grundfrage der Psychologie darin besteht, zu klären, warum Menschen so handeln wie sie handeln, und wenn dann die allgemeinste Antwort darauf heisst, auf innere und äussere Ursachen oder Bedingungen des Handelns hinzuweisen -- etwa mit der Formel von LEWIN: V = f (P,U) --, so ist offensichtlich, dass die Bemühungen dieses Faches sich bisher sehr einseitig auf die inneren Bedingungen in der Person gerichtet haben, bzw. mit einer ans Unglaubliche grenzenden Willkür sich auf solche äussere Bedingungen in der Situation eingeschränkt haben, welche der Bequemlichkeit der Forscher entgegengekommen sind; solche willkürlich ausgewählte Situationsausschnitte pflegen wir "Reize" zu nennen. Gegen die Verwendung von Reizen in der psychologischen Forschung wäre nichts einzuwenden, wenn sie auf dem Hintergrund einer systematischen Bemühung um die Repräsentativität der ausgewählten Reize für alle möglichen Situationen und die Wahrscheinlichkeitsverteilung ihres Vorkommens geschähe. Mit dieser Forderung möchte ich keineswegs Feldforschung gegen Laborforschung ausspielen; diese Alternative kann nur für jedes Problem gesondert entschieden werden, und in den meisten Fällen muss die Antwort: sowohl als auch, heissen. Nach dem Vorschlag von BRUNSWIK auch die Situationen einem Stichprobenverfahren zu unterziehen, hat bisher meines Wissens noch nie zu einem Erfolg geführt. Sinnvoller scheint mir, eine Ökologie des Menschen voranzutreiben, durch welche der "Ort" in der Umwelt jedes in der psychologischen Forschung eingesetzten Reizes bestimmt wird.

Nun ist aber die psychische Organisation ein offenes System, und einen Objektbereich zu beschreiben, auf den hin die psychische Organisation offen ist, kann nur bedeuten, dass man die Beschreibung unter Berücksichtigung der Aufnahmemöglichkeiten der psychischen Organisation anlegt: man muss also eine psychologische Ökologie betreiben.

Psychologische Ökologie wurde von LEWIN schon Anfang der 40er Jahre gefordert als eine Art Naturgeschichte und Kulturgeschichte all jener Dinge, Ereignisse und Beziehungen in der Welt, die für einen beliebigen Menschen und sein Handeln im Laufe seines Lebens überhaupt relevant werden können. Jeder Reiz, den wir in einer Versuchsanordnung oder in einem psychologischen Test verwenden, müsste in einer psychologischen Ökologie seinen definierten Platz finden, wenn wir bei der Frage der Generalisierung unserer Erkenntnisse mehr als nur blind raten wollen. Offensichtlich gibt es eine psychologische Ökologie nicht; wir entlehnen Bruchstücke der verschiedensten Wissenschaften ad hoc für unsere jeweiligen Zwecke, am häufigsten dieses und jenes Stück aus der Physik, aber mal auch zur Abwechslung ein bisschen Kunstgeschichte, oder ein bisschen Chemie, oder ein bisschen Alltagssprache, wenn sonst nichts verfügbar ist oder zu kompliziert erscheint.

Nur auf dem Hintergrund einer psychologischen Ökologie ist auch eine ökologischePsychologie möglich, welche untersucht, wie menschliches Handeln unter den jeweils gegebenen ökologischen Bedingungen gerade so erscheint wie wie es erscheint. Ökologische Psychologie oder Umweltpsychologie als eine Grundlagendisziplin ist die Wissenschaft von den Mensch-Umwelt-Beziehungen. Auch die ökologische Psychologie arbeitet selbstverständlich mit einer Art von "Reizen" und registriert eine Art von "Reaktionen". Aber sie stellt die für die Mensch-Umwelt-Beziehung wirklich relevanten Aspekte der "Reize" in den Vordergrund, nämlich ihre Bedeutungen. Ein Haus oder ein Wohnraum als "Reiz" interessiert im Hinblick auf das Leben der Menschen darin nur minimal in seinen statisch-mechanischen Eigenschaften oder bezüglich Masse, Dichte, Elastizität usf. der darin enthaltenen Materialien; sondern es interessiert vor allem das, was es zur Behausung, zur Wohnung macht. Es geht also um Eigenschaften, die wir bisher nur auf der Ebene phänomenologischer Beschreibung zu erfassen versucht haben und kaum wissen, worauf es eigentlich ankommt. Oder der soziale "Reiz" eines Gesprächspartners als einer der wichtigsten Ausschnitte unserer Alltagsumwelt: er ist erst seit wenigen Jahrzehnten zum Gegenstand der Psychologie geworden und wir haben erst begonnen, Hilfsmittel zu seiner Beschreibung in den für die Kommunikation relevanten Parametern zu entwickeln; auch hier haben wir uns mehr um den Prozess der Personenwahrnehmung oder Urteilsbildung im Beobachter bemüht als um die Merkmale des Gegenstandes, von dem diese Prozesse ausgehen.

Ökologische Psychologie und Umweltpsychologie sollten aber nicht mit Psychologie gleichgesetzt werden (Dazu ist auf dem Salzburger Symposium 1974 ausführlich diskutiert worden.). Die Ökologie des Menschen oder das Ökosystem, in welches der Mensch eingebettet ist, enthält offensichtlich Objekte, die physischen, sozialen und oder kulturellen Charakter aufweisen. Einige sind fast ausschliesslich physisch wie etwa eine Landschaft, andere fast ausschliesslich kulturell wie etwa der Begriff der Nation; soziale Objekte und auch kulturelle sind aber nie ohne physischen Träger, zumindest in einem symbolischen Medium anzutreffen. Aber die meisten physischen Dinge sind mit sozialen und kulturellen Bedeutungen besetzt, und auch zwischen sozial und kulturell lässt sich schwerlich eine definite Scheidung treffen. Dennoch scheint mir sinnvoll, will man nicht der Sozialpsychologie ein zu grosses Bündel an Aufgaben aufbürden, eine Teildisziplin abzutrennen, die sich vorwiegend mit den kulturellen Aspekten der Umwelt befasst, und ebenso eine Teildisziplin, die sich vorwiegend den physischen Aspekten der Umwelt widmet. Die Abtrennung ist notwendig mehr eine pragmatische als eine grundsätzliche. Unter dem Oberbegriff der ökologischePsychologie würde ich also Kulturpsychologie, Sozialpsychologie und Umweltpsychologie zusammenfassen; Umweltpsychologie im engeren Sinn befasst sich in erster Linie mit den Mensch-Umwelt-Beziehungen, die den physischen Aspekt der Umweltgegebenheiten betreffen, nämlich die natürliche Umwelt der Landschaft und des Klimas sowie besonders die von Menschen gebaute und gestaltete Umwelt der Städte, Siedlungen, Häuser, Maschinen und Dinge. Teile der Umweltpsychologie im engeren Sinn sind relativ früh in diesem Jahrhundert von der Arbeitspsychologie vorweggenommen worden.

Nun ist gewiss die Forderung einer ökologisch orientierten Psychologie nichts Neues. Auf dem Hintergrund dieser Forderung oder der beschriebenen Zielsetzung einer grundlegenden und einer angewandten Umweltpsychologie möchte ich nun eine Art Aufriss oder Binnenstruktur einer ökologischen Psychologie entwickeln. In erster Linie geht es mir hier um eine Systematik oder Ordnung der in der ökologischen Psychologie als Grundlagendisziplin verwendten Beschreibungsbegriffe

. Ich hoffe damit aber auch zeigen zu können, dass ein solcher Aufriss auch für die angewandte Disziplin, den möglichen Beitrag der Psychologie zur multidisziplinären Bemühung um eine bessere Umwelt, von grösstem theoretischen, methodologischen und sogar praktischen Nutzen sein kann. Die nachstehenden Gedanken sind günstigenfalls Vorarbeiten, stellen jedoch nicht eine umweltpsychologische Theorie dar.

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Eine Systematik der Beschreibungsbegriffe der Umweltpsychologie

Die Einteilung der Umweltpsychologie, die ich vorschlagen möchte, richtet sich auf die Art und Weise, wie Umwelt für die Zwecke der empirischen Kenntnisgewinnung und im Hinblick auf gezieltes und begründetes Eingreifen einschliesslich der Kontrolle der erzielten Wirkungen zur Darstellung gebracht werden kann. Nach dem bis jetzt Gesagten dürfte einsichtig sein, dass dies nicht ohne Rücksicht auf die Mensch-Seite in der Mensch-Umwelt-Beziehung geschehen kann.

Ich könnte das auch wissenschaftstheoretisch begründen: wenn immer jemand die Objekte seines Erkennens oder Handelns näher untersuchen will, ist er auf das zurückverwiesen, was in seinem Erleben als Phänomen erscheint bzw. was sich in seinem Handeln davon niederschlägt. Er kann (zunächst) jedenfalls nicht wissen, ob das Phänomen eine aussen gegebene Wirklichkeit wiederspiegelt, oder ob das Phänomen so ist, wie es ist, weil sein eigener innerer Apparat, der das Phänomen "herstellt", so "gebaut" ist, dass er eben gerade dieses Phänomen produziert. Es ist für das Folgende unwesentlich, was für eine erkenntnistheoretische Position man einnehmen will, und überhaupt unnötig, eine bestimmte solche einzunehmen, solange man anerkennt, dass jede Welterkenntnis auf Phänomene oder Urteile abstellen muss, welche Menschen haben. Wenn man also Objekte oder Relationen des Ökosystems zur Darstellung bringen will, dann muss man stets letztlich auf Phänomene oder auf Prozesse zurückgreifen, welche Menschen haben oder welche Menschen charakterisieren.

Jeder Mensch erlebt Umwelt und handelt in bezug auf Umwelt. Wenn er nicht in seinem privaten Erleben der Umwelt gefangen bleiben will, wird er versuchen, sein Erleben in Formen zu transformieren, in denen er mit den Äusserungen des Erlebens anderer Menschen sich treffen kann, Formen, die ermöglichen, das Handeln mehrerer Menschen zu koordinieren. Was immer wir also im Alltag an Sprachen entwickeln, dient dazu, unsere Phänomene kommunizierbar zu machen; und was wir im Wissenschaftsbetrieb an Messeinrichtungen oder überhaupt Operationalisierungen entwickeln, dient dazu, einen möglichst hohen Grad an intersubjektiver Übereinstimmung im Umgang mit solchen transformierten Phänomenen, d.h. in der Beschreibung der Welt (oder wenn man agnostizistisch formulieren will: im Ausfindigmachen der Invarianten in den Phänomenen) zu erhalten. Im Extremfall ist auch die Zeigerablesung oder das Wahrnehmen des digitalisierten Outputs des Messinstruments ein Phänomen, das den Ableser, wenn auch über noch so komplizierte, im Bauplan des Messinstruments enthaltene Transformationen, an einen Ausschnitt der Erfahrungswelt heranführt. Messungen schlagen die Brücke von der Umwelt jedes einzelnen Beobachters zu der allen Beobachtern gemeinsamen Welt, indem sie ein "Dort-Dann-So" festhalten.

Ein Maximum an intersubjektiver Sicherung solcher Weltbeschreibung haben wir wohl in den physikalischen Wissenschaften erreicht, wo wir nicht nur unbezweifelbare Messungen von Strecken, Zeiten, Massen, Kräften usf. verfügbar haben, sondern sogar, dank raffinierten gedanklichen Konstruktionen, Objekte und Prozesse erfassen, für die wir gar keine Erlebnismöglichkeiten haben und die jedenfalls erst auf mancherlei Umwegen bis in unsere Phänomenwelt hineinwirken können: z.B. Magnetfelder, chemische Valenzen, Atomkernstrukturen usw. Die Erfolge der Naturwissenschaften in diesem Bereich sind derart, dass viele versucht sind, die physikalischen Begriffe (die wir also zur Darstellung dessen entwickelt haben, was in den Phänomenen intra- und intersubjektiv invariant ist) für die Wirklichkeit selbst zu nehmen, anstatt im günstigsten Fall für eine (von mehreren) Möglichkeit(en) ihrer Darstellung oder Beschreibung.

Nun haben wir aber auf der andern Seite Phänomene, die nicht minder wirklich sind, und für die schon der Versuch ihrer intersubjektiven Sicherung oder das Bemühen darauf eine empirische Wissenschaft zu gründen absurd wäre: das sind unsere Wertungen: mir gefällt das, und jenes passt mir nicht; das ist angenehm und jenes macht mir Angst usw. Natürlich gibt es auch in diesen Phänomenen Invarianten, vor allem intrasubjektive: sie sichern die für die Erlebniswelt so wichtige Erfahrung der Selbst-Identität; und durchaus auch intersubjektive: schliesslich sind wir alle nach dem gleichen Bauplan "konstruiert" und machen im Lauf des Lebens nicht gänzlich unterschiedliche Erfahrungen innerhalb einer gegebenen Kultur. In Bereichen, die sich von den Stoffwechselbedürfnissen über die Gruppenbildung und die Lust am Leben bis zum Hochschätzen der Selbstwertverbesserung oder den Formen der Anerkennung durch die andern erstrecken mögen, sind die Gemeinsamkeiten sogar so stark, dass wir normative Disziplinen entwickeln können wie Ethiken, Pädagogiken, Soziologien oder Orthopsychiatrien.

Der Umstand, dass zumeist mehrere solche Disziplinen einander widersprechen und doch jede den Anspruch auf Allgemeingültigkeit erhebt, belegt deutlich, dass die Wertungsphänomene anderer Natur sind als die Feststellungsphänomene; aber beide sind doch wohl für die Mensch-Umwelt-Beziehung konstitutiv. Ich kann mir nicht vorstellen, wie jemand leben wollte, ohne sein Handeln (das führt durchaus über die Erlebniswelt hinaus) an der Sachordnung zu orientieren und zugleich in der Sachordnung seinen eigenen "Weg" zu entwickeln, d.h. Präferenzen, Ansichten und Verhaltensweisen zu haben, die seine Eigenart, seine Identität ausmachen (vgl. dazu auch LANG 1964).

Eine erfolgsversprechende ökologische Psychologie muss also wohl Darstellungen der Mensch-Umwelt-Beziehung wählen, welche diesen Grundtypen von Phänomenen und auch ihrer eigenartigen Vermengung gerecht wird.

Ich möchte nun vorschlagen, diese beiden Möglichkeiten des deskriptiven und des wertenden Weltbezugs von Menschen als Extrempole eines Kontinuums zu verstehen und alle Formen, unter denen der Weltbezug von Individuen erkennbar gemacht werden kann, zwischen diese beiden Pole einzustufen. Ich denke, man könnte recht viele solche Formen unterscheiden, unter denen der Weltbezug des Individuums für den Andern und insbesondere für den Wissenschaftler verfügbar gemacht werden kann. Für die Zwecke einer Wissenschaftsgliederung muss man sie klassifzieren und auf ein überschaubares Mass reduzieren. Die Gliederung darf durchaus pragmatisch erfolgen, sofern sie nichts Wesentliches auslässt. Ich glaube, mit sieben Darstellungsebenen des Mensch-Umwelt-Bezugs zunächst auskommen zu können. Zu ihrer Umschreibung habe ich mich an den in den 60er und frühen 70er Jahren zur Umweltpsychologie publizierten Arbeiten orientiert und mir vorzustellen versucht, was allenfalls fehlen könnte oder vernachlässigt worden ist. Ob gerade so oder ein bisschen anders gegliedert wird, scheint mir aber unwesentlich; auch die zur Umschreibung der Darstellungsebenen verwendeten Begriffe und schon gar die Terminologie haben vorläufigen Charakter. Ich hoffe, sie im Lauf der Zeit verbessern zu können.

Am deskriptiven Pol finden wir wie skizziert die physikalischen Beschreibungen. Das Schwergewicht bei der Darstellung der Mensch-Umwelt-Beziehung liegt hier auf der Seite der Welt. Wenn der Begriff nicht allzu leicht missverstanden würde, könnte man auch von der grösstmöglichen Objektivierung sprechen. Physikalische Beschreibungen gebrauchen im Idealfall die Begriffe und Messverfahren der physikalischen Wissenschaften und sind letzten Endes immer rückführbar auf Verteilung von Materie und Energie in einem raum-zeitlichen Koordinationssystem. In der klassischen Psychophysik dominiert der physikalisch definierte Reiz, z.B. Strahlungsenergie (Licht) von definierter Frequenz und Amplitude in definierter raumzeitlicher Verteilung; in der Umweltpsychologie sind physikalische Beschreibungen nicht so häufig, am ehesten noch in Untersuchungen des Klimaeinflusses oder im Zusammenhang mit der Raumfahrt verwendet worden. Es scheint, dass manche ökologisch orientierten Psychologen die physikalische Beschreibung als Antithese zur ökologischen verstehen; die bisherigen Ausführungen dürften deutlich machen, dass ich dem nicht zustimme, sondern fordern würde, dass wenn immer möglich und problemadäquat neben den übrigen Darstellungsebenen auch die physikalische beigezogen werden muss, wenn man berechtigte Objektivierungsansprüche erfüllen will.

Die Mehrzahl der Reizdefinitionen (und auch viele verhaltensmässigen Reaktionsdefinitionen) der allgemeinen Psychologie sind auf der Darstellungsebene der physischen Beschreibung zu lokalisieren. In Anlehnung an die physikalische Beschreibung könnte man bei der physischen Beschreibung von Verteilungen von Dingen mit Bedeutung sprechen. Beispiele wären Tisch, Haus, menschliches Gesicht, etc. Hier ist der Grad der Objektivierung gegenüber der physikalischen Beschreibung eingeschränkt aber in vielen Fällen durchaus zufriedenstellend; doch muss er in der Regel mit Einschränkungen in bezug auf die Sicherheit bei der Generalisierung erkauft werden. Physische Beschreibungen werden oft als Hinweis auf konkrete Items gegeben, die bestenfalls in vervielfältigter Form im Handel erhältlich sind. Diese Items variieren jedoch in der Regel in so vielen und schwer zu objektivierenden Parametern, dass häufig schon bei der Vervielfältigung Variationen auftreten, die die Gleichheit mit dem Original als fraglich erscheinen lassen: z.B. weiss niemand hinreichend genau wie anders die dritte Auflage der Rorschachtafeln wirkt als die erste oder gar Rorschachs Originalklexe. In der Umweltpsychologie werden physische Beschreibungen weitaus am meisten verwendet, wenn man etwa die Wirkung irgendwelcher besonderer Umweltausschnitte auf das Verhalten, die Persönlichkeit oder die Entwicklung von Menschen untersuchen will. Beispiele sind: Wohnräume mit bestimmten Gegenständen, Schulräume mit bestimmten Tischanordnungen, die Zahl anwesender Personen pro Raumfläche als Indikator der Belegungsdichte in einem Arbeitszimmer oder in einer Siedlung usf.

Der Grad der intersubjektiv sichtbaren Feststellbarkeit nimmt ab und zugleich kommt ein Element des sozialen Konsens hinzu, der letztlich auf persönlichen Erfahrungen mit solchen Items gründet, wenn wir die dritte Darstellungsebene mit der zweiten vergleichen. Ich nenne sie zunächst einmal: "Institutionen". Es handelt sich um Typen von Wirklichkeitsausschnitten , über die man aufgrund von Funktionen, die sie erfüllen, einigermassen leicht Konsens erlangen kann (von Grenzfällen einmal abgesehen) die man aber in ihrer Bedeutung einem Nichtmitglied der betreffenden Kultur nur dadurch klar machen kann, dass er über einige Zeit an solchen Institutionen partizipiert. Beispiele in der Umweltpsychologie wären: Stadt, Quartier, Wohnung, Schule, Spital, Büro, Universitätshörsaal usf. Zu denken ist allerdings auch an nicht oder minimal menschengemachte Orte wie ländliche Umgebung, Wüste, Meeresstrand etc., wo die Bezeichnung "Institution" wenig angemessen erscheint, und wo doch ein Komplex von verschiedenartigen physischen Beschreibungen immer noch ein und dieselbe Sache abdecken können. Ein Meeresstrand ist eben durchaus nicht dasselbe für einen enheimischen Fischer und für einen reisenden Hochsommertouristen. Wenn ich mich nicht irre, ist diese Darstellungsebene in der allgemeinen Psychologie kaum als Reizdefinition verwendet worden, jedenfalls nicht unter Dominanz des physischen Aspekts; wenn man allerdings den Begriff des Institutionellen in Richtung auf das Soziale und oder Kulturelle ausweiten will, fallen natürlich vielverwendete Einflussgrössen (man kann nicht mehr gut von Reizen sprechen) wie soziale Organisationen, Lernprogramme, Therapieverfahren u.a.m. darunter.

Die nächste Darstellungsebene nenne ich in Anlehnung an BARKER (1968 und früher) Verhaltensrahmen, doch möchte ich den Begriff weiter fassen, so dass BARKERs "behavior setting (K 21)" einen Spezialfall des hier Gemeinten darstellen dürften. Diese Ebene gehört ins Zentrum zwischen den beiden Polen, weil Verhaltensrahmen ihre Bestimmung zu gleichen Teilen oder jedenfalls untrennbar sowohl aus dem physischen wie auch aus den psychischen Komponenten der Phänomens beziehen. Barker spricht von Umwelt-Verhaltens-Synomorphemen und meint damit, dass in einem Verhaltensrahmen in nicht zufälliger Weise Elemente des Verhaltens und Elemente nichtphysischer Natur in eine Einheit organisiert sind. Einfachste Beispiele wären das Sitzen auf Stühlen oder das Lesen in Büchern. Ein schon etwas komplexerer Fall ist der Verhaltensrahmen: "Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in Salzburg 1974" oder "Forscher-Tagung in Lausanne, November 1974" bzw. der allgemeine Verhaltensrahmen "Tagung der psychologischen Forscher in der Schweiz". Verhaltensrahmen haben, Ort, Zeit, eine ganz bestimmte strukturierte Umgebung sowie menschliche Teilnehmer, welche bestimmte, dem betreffenden Verhaltensrahmen mehr oder weniger adäquate, aber jedenfalls typische Verhaltensmuster zeigen. Die Verhaltensrahmen sind eigentlich die zentralen Einheiten der ökologischen Psychologie und zugleich der psychologischen Ökologie, auf die alle weitere Differenzierung der beiden Fächer aufbauen müsste. Wir Barker betont, fehlt uns eine Naturgeschichte der Mensch-Umwelt-Beziehung; es müssten alle vorkommenden Verhaltensrahmen katalogisiert, Häufigkeit und Verteilung ihres Vorkommens erhoben und dem psychologischen Forscher wie dem Praktiker in ähnlicher Weise zur Verfügung stehen wie dem Zoologen oder dem Tierzüchter das LINNEE'sche System der Arten, zusammen mit Brehm's oder Grzimek's Tierleben. (Ich weiss nicht sicher, ob ich mit der Formulierung dieser Darstellungsebene eigentlich meine Systematik unterlaufe weil in gewissem Sinne alle M-U-Bezüge Verhaltensrahmen sind, allerdings ohne das gewisse M-U-Gleichgewicht oder ihr ein echtes Zentrum gebe).

Mit dem Übergang zur nächsten Darstellungsebene, den Verhaltensweisen beginnt nun die Mensch-Seite der Mensch-Umweltbeziehung zu dominieren. Verhaltensweisen sind zunächst stets von der psychischen Organisation des handelnden Individuums gesteuert, und mittelbar (auf dem Weg über verschiedene psychologische Funktionen) macht sich in ihnen der Einfluss der aktuellen Situation bzw. der in früheren Situationen gesammelten Erfahrungen geltend. Andererseits sind Verhaltensweisen das "Objektivste", was uns als äusseren Beobachtern zugänglich ist, weil sie in der Umwelt des Handelnden und mithin auch in der Welt überhaupt "Spuren", d.h. raum-zeitliche Energie-Materie Veränderungen hinterlassen. Verhalten oder Handeln ist also wie die andern Darstellungsebenen eine Form des Mensch-Umwelt-Bezugs; nicht anders als bei den andern Formen ist offen, ob mehr über den Mechanismus der Transformation oder mehr über den Umweltbezug, den sie vermitteln soll, oder über beides vermischt kundgetan wird.

Die elementarste Verhaltensweise ist wohl die Zuwendung zu bzw. die Abwendung von einem gegebenen Weltausschnitt, die als wertendes Moment einer enormen Vielfalt von Möglichkeiten des Umgangs mit Sachordnungen überlagert ist. Die Strukturierung der Verhaltensweisen steht auf dieser Darstellungsebene jedoch im Vordergrund des Interesses. Typische Beispiele aus der Umweltpsychologie sind bestimmte Muster von Spiel- oder Agressionsakten in ihrer raum-zeitlichen Verteilungshäufigkeit; Bewegungen oder Leistungen von Industriearbeitern oder Schülern; der zeitliche Ablauf von wiederkehrenden Verhaltensmustern bei Verkehrssubjekten oder Museumsbesuchern usf.

Etwas mehr Schwierigkeiten bezüglich der Sicherung der Phänomene macht die Darstellungsebene der Kognition. Diese sind zunächst immer privaten Charakters; doch sind sie mindestens teilweise auch durch invariante Transformationsformen in Verhalten konstituiert. So werden manche Kognitionen durch angeborene, bei Menschen jedoch fast nie unverändert wirksame Verhaltensmuster in der sog. nicht-verbalen Kommunikation erfassbar. Die Hauptform der Darstellung von Kognition ist jedoch die durch Sprache vermittelte Äusserung. Auch wenn wir zugestehen, dass die sprachliche Kompetenz jedes Individuums infolge von bauplanmässigen und kulturellen Bedingungen mit der Sprache jedes andern Individuums, insbesondere mit der des Wissenschaftler, grosse Gemeinsamkeiten aufweist, wissen wir doch nie, ob der kognitive Bericht mehr durch seinen Gegenstand oder mehr durch seine Form so ausfällt, wie ihn die Versuchspersonen geben, und ob zwei Versuchspersonen äquivalente Kognitionen meinen, wenn sie gleichlautende Berichte geben. In der Umweltspsychologie wird reichlich von der Darstellungsebene der Kognition Gebrauch gemacht. Die Möglichkeiten reichen von Vergleichsurteilen, allen möglichen Skalierungsverfahren, kognitiven Karten usf. bis zu den unvermeidlichen Fragebogen und Interviewverfahren. Einen nachgerade zweifelhaften Ruf hat das Semantische Differential, das sowohl dieser wie auch der Darstellungsebene der Wertungen angehört.

Wertungen sind jene Darstellungen der Mensch-Umwelt-Beziehung, welche den grösstmöglichen Anteil an Subjektivem enthalten; hier dominiert also die Mensch-Seite der Beziehung. Die Formen, unter denen Wertungen operationalisiert werden können, sind vielfältig; doch münden sie natürlich stets in Kognitionen und letztlich in Verhalten. Gebraucht werden die verschiedensten Formen der Urteilserhebung, neben dem Semantischen Differential vor allem die verschiedenen Attitüden-Fragebogen, sowie natürlich die Isolierung der Wertungskompenente im Verhalten, d.h. die Präferenz. Bei den Wertungen ist besondere Sorgfalt auf die Art und Weise der Datenauswertung zu legen, insofern in Gruppendurchschnitten immer schon, wenn man so sagen kann, kognitiv verwässerte Wertungen vorliegen; der letztlichen Individualität der Wertung werden im strengen Sinn nur Versuchspläne vom Typus N = 1 gerecht.

Auf diesen sieben (oder ähnlichen) Darstellungsebenen der Mensch-Umwelt-Beziehungen, so möchte ich nun den Anspruch erheben, müssen irgendwelche Gegebenheiten, die einen ökologischen Psychologen (und natürlich andere Wissenschaftler auch!) interessieren, abgebildet werden können. Die Ebenen sollen allerdings wie gesagt nicht als einander vollständig ausschliessende Kategorien verstanden werden, sondern als Typisierungen aus einer grösseren Zahl von Darstellungsmöglichkeiten.

Die Darstellungsebenen können sowohl einen ökologischen Forscher, der experimentelle oder korrelative Versuchspläne entwickeln möchte, wie auch einen angewandten Umweltpsychologen interessieren, der die Bedingungen vorgefundener Verhältnisse ausfindig machen oder für angestrebte Wirkungen die geeigneten Bedingungen suchen und/oder schaffen möchte. Es geht in diesen Fällen immer um die Erfassung oder Herstellung von Transaktionsschritten in einer M-U-Einheit, in denen eine solche Einheit in eine andere solche Einheit übergeführt wird. Traditionelle Ausdruckweise würde etwa von Reaktionen auf einen Reiz oder eine Situation sprechen, wenn der Übergang von der Welt auf den Menschen geht, eigentlich von einem Feststellungsphänomen auf ein Wertungsphänomen; oder von Produktion, wenn der Übergang vom Menschen auf die Welt geht, wenn sein Verhalten etwas hinterlässt. Bringt man die sieben Darstellungsebenen in eine zweidimensionale Matrix (vgl. Figur 1) ein, einmal zur Kennzeichnung der Bedingung von Transaktionsschritten oder der unabhängigen Variablen eines Experiments, und zweitens als Wirkung oder abhängige Variable, so muss grundsätzlich jede denkbare umweltpsychologische Untersuchung sowie jede denkbare umweltpsychologische Intervention in wenigstens einem der resultierenden 49 Matrizenfelder eingeordnet werden können. Eine Komplikation kann der Umstand herbeiführen, dass Untersuchungen oder Massnahmen sich häufig zugleich auf mehrere Darstellungsebenen erstrecken. Ferner haben die Diagonalfelder eine Sonderstellung, auf die ich jetzt nicht näher eingehen will.

Ein grosser Vorteil dieses Schemas liegt darin, dass die Umkehrbarkeit der Wirkungsrichtung in allen umweltpsychologischen Fragestellungen unmittelbar einsichtig wird. M.a.W. es ist nicht mehr nötig, Reiz und Reaktion, Situation und Verhalten in absoluter Weise, wie es die herkömmliche Begriffsbildung nahelegt, voneinander zu trennen. Es gibt Versuchspläne, in denen etwas primär Psychisches als eine Funktion von etwas primär Physischem untersucht werden soll, und ebenso gibt es Massnahmen und Projekte, in denen Menschen durch Umweltgestaltung beeinflusst werden sollen: alle diese Versuchspläne und Massnahmen müssten im Schema unterhalb und links von der Diagonale ihren Platz finden. Umgekehrt gibt es Versuchspläne und Projekte, in denen Menschen auf Grund ihrer Wertungen, Kognitionen und Verhaltensweisen auf die Welt einwirken: sie sind rechts und oberhalb der Diagonale lokalisiert. In der Realität stehen die beiden Wirkungsrichtungen in enger Wechselwirkung.

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Zur Illustration des Schemas möchte ich zunächst ein paar Untersuchungen lokalisieren:

SHAFER & THOMPSON 1969: Benützungshäufigkeit von Zeltplätzen in Funktion von durch Beurteiler erhobenen Merkmalen wie Grösse der Einheiten, Bequemlichkeit der Zufahrt, Distanz von Seeufer, Dichte und Art des Baumbestandes etc etc, die faktorenanalytisch auf eine kleine Zahl von Dimensionen reduziert worden sind. Es geht um die Untersuchung von Präferenzen (Wertungen) in Abhängigkeit von physischen Beschreibungen der Umwelt (Feld 27). Anwendungsmöglichkeiten bestehen bezüglich der Zeltplatzwahl und -gestaltung (Feld 72) durch die Parkbehörden, um je nach Wertsetzung mehr oder weniger Besucher anzuziehen (Feld 27). Oder es könnten auch durch Werbung, welche die präferenzrelevanten physischen Parameter in geeigneter Weise publik macht, das präferentielle Verhalten potentieller Parkbesucher beeinflusst werden (Feld 27). Allerdings sind die Präferenzen nicht individualisiert erfasst worden.

ITTELSON, PROSHANSKY & RIVLIN 1970: Sozialverhalten von Psychiatriepatienten im Abhängigkeit vom Spitaltypus (Privat, Stadtklinik mit Universitätsverbindung, grosse staatliche Versorgungsanstalt). Feld 35: Verhalten als Funktion des institutionellen Ortes. Die Untersuchung wurde dann erweitert, um herauszufinden, welche physischen Gegebenheiten im besondern die festgestellte Wirkung ausüben; als ein bedeutsamer Parameter erwies sich die Zahl der Betten pro Raum.

LEE 1968 und GOLLEDGE & ZANNARAS 1973: Die erlebte Distanz von den Einkaufsgelegenheiten ist für Hausfrauen sowohl in Cambridge Engl. wie in Columbus Ohio gegenüber der wirklichen Distanz verzerrt; und zwar unterschätzen sie die Distanz, wenn der Laden vom Wohnort Richtung Stadtzentrum liegt, und überschätzen die Distanz, wenn der Laden weiter ausserhalb gegen den Stadtrand liegt (Feld 26, Kognition als f(physische Beschreibung); und entsprechend ist auch ihr Einkaufsverhalten, indem sie häufiger die grössere Distanz Richtung Zentrum zurücklegen als die kleinere gegen den Stadtrand, bei gleichen Einkaufsmöglichkeiten (Feld 25: Verhalten als f(physische Gegebenheiten). Man könnte an eine Kombination 26 mit 16 und 25 mit 15 denken, da die Distanzen effektiv gemessen wurden; aber ich setze einen Preis aus für jemanden, der einwandfrei und allgemeingültig die Idee des Stadtzentrums in physikalischen Parametern ausdrückt!

Ich habe eine grosse Zahl von umweltpsychologischen Untersuchungen in das skizzierte Schema einzuordnen versucht. Definitive Schlussfolgerungen möchte ich nicht ziehen; aber es fällt auf, dass es fast keine Untersuchungen oberhalb der Diagonale gibt. Es scheint die Forscher nur zu interessieren, wie der Mensch von der Umwelt gesteuert und beeinflusst wird. Die wenigen Untersuchungen oberhalb der Diagonale bringen zumeist auch bloss anekdotisches Material, z.B. Darstellungen des Zerfalls von Siedlungen in Abhängigkeit von demographischen und Persönlichkeitsmerkmalen der Bewohner, also die Slumentstehung. Ich würde das in Feld 62 unterbringen. Das ist umso erstaunlicher, als niemand ernstlich bestreitet, dass vom Menschen gemachte Umwelt die Verminderung der Lebensqualität verursacht hat, dass jedenfalls eine Wechselwirkung zwischen den beiden Wirkungsrichtungen besteht, und dass die Wirkungen der Welt auf den Menschen doch beträchtlich viel kurzfristiger sind, nämlich im Maximum ein Lebensalter, als die Wirkungen der Menschen auf die Umwelt, nämlich ein Zeitalter und darüber hinaus.

Natürlich ist das Schema über die Umweltpsychologie hinaus von Belang, ist vielleicht geeignet, das Nachdenken über das Verhältnis zwischen Natur-, Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften bzw. das wissenschaftstheoretische Nachdenken darüber zu fördern. So dürfte man rasch einsehen, dass die physikalisch-chemischen Disziplinen sämtlich ins Feld 11 gehören; allerdings wird aus der Systematik sofort erkennbar, dass sie Anteile menschlicher Kognitionen, Verhalten und Wertungen implizieren. Das Schema nimmt leider nicht bezug auf die Stellung der biologischen Wissenschaften und bedarf also sicher der Überarbeitung. Innerhalb der gesamten Psychologie anderseits wird der Unterschied zwischen S-R-orientierten und R-R-orientierten Teildisziplinen erkennbar: während erstere überwiegend das Dreieck zwischen den Feldern 15, 17 und 37 betreffen, bewegen sich letztere im Dreieck zwischen den Feldern 55, 57 und 77.

Innerhalb der Umwelltpsychologie -- und das war sein primärer Zweck -- ermöglicht das Schema eine Reihe von nützlichen Ableitungen, auf die ich nicht weiter eingehen, nur einige nennen will. Beispielsweise wird der Vergleich von Untersuchungen an unterschiedlichen Inhalten aber mit strukturgleichen Fragestellungen erleichtert. Man wird deutlich machen können, wo viel und wo wenig geforscht worden ist. Man wird die Forderung besser vertreten können, dass in einer Art Multimethoden-Ansatz Ergebnisse, die man auf einer Darstellungsebene gefunden hat, auch auf den nächstverwandten Darstellungsebenen repliziert werden sollen, damit die Sicherheit der Verallgemeinerung erhöht wird. U.ä.m.

Das Schema wird erst recht im Hinblick auf forschungsplanerische Gesichtspunkte, aber auch zum Zweck der Beurteilung der Problem-Methoden-Adäquatheit von Untersuchungen nützlich, wenn man es in einer dritten "Dimension" erweitert. Ein Vorschlag in dieser Richtung, der noch die Bewährungsprobe bestehen muss, ist in der Figur auf der rechten Seite enthalten.

Weitaus die meisten umweltpsychologischen Untersuchungen beschränken sich darauf, einmalige Relationen oder Funktionen zwischen Variablen der verschiedenen Darstellungsebenen zu finden. In unserere Terminologie erfassen also isolierte Transaktionsschritte (z.B. in Situationen unter Lärm sind gewisse Konzentrationsleistungen vermindert) oder M-U-Interaktionsprozesse (z.B. beim Betreten und noch mehr beim Verlassen von Rolltreppen treten bei manchen Personen relativ schwierige Gleichgewichtsfindungsreaktionen auf). Die Schlussfolgerungen, die aus solchen Untersuchungen gezogen werden, gehen jedoch häufig weit über das effektiv Nachgewiesene hinaus.

Wenn man nun aber einmal die Annahme macht, dass alles, was den Umweltpsychologen als abhängige Variable interessieren kann, sein Sosein aus einem Bedingungsgefüge erhält, in welchem deskriptive und wertende (objektivierende und subjektivierende) Faktoren in unterschiedlichen Anteilen zusammenkommen, dann wird deutlich, dass dieses Bedingungsgefüge Eigenschaften hat, die vom "Reiz" der klassischen Experimentalpsychologie weit entfernt sind. Denn das Bedingungsgefüge verweist dann auf eine Gegebenheit, von der man nicht einfach annehmen darf, dass sie nach ihrer Herstellung ohne weiteren Eingriff des Experimentators konstant bleibt. Sondern sie enthält zum vornherein eine potentiell dynamische Komponente, insofern sich zumindest jene Bedingungskomponenten, die in der psychischen Organisation der handelnden Individuen gegeben sind, auch ohne direkten äusseren Einfluss in der Zeit verändern können (Entwicklung des Individuum, Selbstorganisation des Gedächtnisses usf.); natürlich sind auch immer mögliche Veränderungen der Welt-Komponenten zu beachten. Das heisst aber wieder, dass für jede gefundene Relation zwischen den verschiedenen Darstellungsebenen solcher Bedingungs- und Wirkungsgefüge, egal ob sie korrelativer oder kausaler Natur zu sein beansprucht, auch festgestellt werden muss, inwieweit es sich um eine konstante oder veränderliche Relation handelt.

Der Forscher ist also genötigt, eine interessierende Relation unter Beteiligung derselben Versuchsperson(en) im gleichen Ökosystem mehrmals zu erheben. Je nach dem Generalisations- oder Anwendungsziel der Relation muss dann entweder gezeigt werden, dass die dynamische Komponente so klein ist, dass sie vernachlässigt werden darf; oder es muss gezeigt werden, welche Auswirkungen die Eigengesetzlichkeit der beteiligten deskriptiven und wertenden Faktoren haben, sobald das betreffende Bedingungs- und Wirkungsgefüge zum Spiel kommt. Das kann eruiert werden, indem man es einer (entwicklungs-öko-psychologischen) Untersuchung unterzieht, oder indem man einen Prozess sozialen Wandels initiiert und beobachtet. Im Fall einer konstanten Relation geht es genau genommen um den Nachweis eines spezifizierten Grades von Stabilität aller jener Faktoren, in denen dynamische Momente eine Variation herbeiführen könnten. Tun sie dies nicht oder nur in sehr geringem Ausmass, kann man erst mit Recht auf das Vorhandensein einer überdauernden Struktur (etwa als Disposition individueller oder allgemeiner Mensch-Umwelt-Bezüge) schliessen, auf deren Kenntnis man Voraussagen über ihr Wirksamwerden in anderen Kontexten abstützen kann. Nicht zu vergessen sind konstante Relationen, die aufgrund von ständigen kompensatorischen Teilprozessen in Reaktion auf Störprozesse zustandenkommen (Fliessgleichgewicht). Im Fall einer variablen Relation muss das Ergebnis in einen übergeordneten Zusammenhang eingebracht werden, welcher die Regelhaftigkeit der Veränderung zu erklären geeignet ist; in erster Linie wird man an eine Lern- oder Entwicklungstheorie denken müssen. In beiden Fällen sind Konstanz oder regelhafte Veränderung nicht Eigenschaften eines Menschen oder einer Gruppe, sondern Eigenschaften einer Mensch-Umwelt-Einheit.

Die Relation zwischen Gegebenheiten auf zwei verschiedenen Darstellungsebenen kann aber auch mehrmals erhoben werden unter Bezugnahme auf mehrere verschiedene Versuchspersonen oder Versuchspersonengruppen im gleichen Ökosystem. Damit wird der differentialpsychologische Gesichtspunkt in die Betrachtung eingeführt, und zwar unter den verschiedenen Differenzierungen, die sich durch die verschiedenen Möglichkeiten der Differenzierung von Individuen in Gruppen anbieten. Insbesondere ist an die traditionelle Differentialpsychologie zu denken, welche unter der ökologischen Akzentsetzung die Mensch-Umwelt-Relation in ihrer Variabilität zwischen verschiedenen Individuen oder zwischen verschiedenen Individuengruppen wie Geschlechtern, Sozialschichten, Berufsgruppen usf. betrachtet. Weiter ist an die Vergleichung von subkulturellen oder kulturellen Gruppen zu denken. Und schliesslich lässt sich der differentialpsychologische Gesichtspunkt ausweiten über die menschliche Art hinaus, womit die Fragestellungen der vergleichenden Psychologie auf dem Hintergrund einer Evolution der Mensch-Umwelt-Beziehung angesprochen sind.

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Nachtrag 1984: An dieser Stelle bricht mein Text von 1974 ab, und er ist zwar oft überdacht, in Seminaren diskutiert, aber nie weitergeführt und publiziert worden. Dies vermutlich u.a. deshalb, weil jetzt eine parallele Betrachtung über die Entwicklung der Umweltkomponenten in den Mensch-Umwelt-Einheiten (oder wie ich sie heute auch nenne: den ökologischen Einheiten) angestellt werden müsste. Hier lassen mich die traditionellen Wissenschaften in Stich, weil die Umwelt, jedenfalls in unserer Kultur, nie als etwas Autochthones systematich behandelt worden, gewissermassen als ein Subjekt des Objektes Mensch; weil eine psychologische Ökologie fehlt.

 

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