Alfred Lang

University of Bern, Switzerland

Journal Article 1967

Über Wahrnehmungsverhalten beim 8- bis 10-wöchigen Säugling

1967.01

@DevPsy @ Perc @ Act @SciTheo

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Last revised 98.11.02

Psychologische Forschung 30, 367-399 (1967, Eingegangen im November 1965)

© 1998 by Alfred Lang

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Inhalt

 schärfere Abbildungen folgen

Zusammenfassung / Abstract Einleitung
Abriss einer Systemtheorie
Anwendung auf das primäre Wahrnehmungsverhalten
Versuchsanordnung und Beobachtungsvariable
Die unabhängigen Variablen des Versuchsplans
Ergebnisse und Interpretation
Diskussion besonderer Probleme
Literatur
Fussnoten
 

Zusammenfassung: Im Rahmen einer Systemtheorie des Verhaltens und der Persönlichkeit und auf dem Hintergrund der Ergebnisse der Berner Längsschnitt-Untersuchungen wird eine Hypothese über die Genese der Wahrnehmung entwickelt, wonach die frühesten Wahrnehmungen im wesentlichen Verarbeitungen der Reizwirkungen in einer von zwei Klassen von Verhaltenssystemen sind, nämlich der Abwendung und Selbstsicherung (A-Systeme) bzw. der Zuwendung zur Aussenwelt (Z-Systeme).

In einem Experiment mit 8-, 9- und l0-wöchigen Säuglingen wurde das Wahrnehmungsverhalten in Abhängigkeit von verschiedenen Reizfiguren, von der individuellen Eigenart und vom Aktivationsniveau des Kindes mit Hilfe eines Zeitstichprobenverfahrens beobachtet. Der auf die Differenzierung zwischen den verschiedenen Reizfiguren entfallende Varianzanteil steigt mit zunehmendem Alter an, während die Wirkung der autonomen Aktivationsprozesse allmählich zurücktritt. Mit 10 Wochen kann eine geordnete Form oder gute Gestalt "leichter" verarbeitet werden als eine mehr zufällige Form.

Einige Probleme im Zusammenhang mit Annahmen, Methoden und Ergebnissen des Experiments werden diskutiert, darunter die Theorie der Formwahrnehmung, die Genese von Subjekt- und Objektsystem und die beschränkte Bedeutung der Methode der bevorzugten Fixierung in der Erforschung der Säuglingswahrnehmung.

Summary: Within the framework of a System Theory of behavior and personality and on the background of the results of the Bernese Longitudinal Studies, a hypothesis of the genesis of perception is developed. It states that the earliest perceptions are essentially integrations of the effects of stimuli into one of two classes of behavioral systems, viz. withdrawal and self-preservation (A-Systems, in english W-Systems) or, respectively, approach to the outer world (Z-Systems, in english A-systems).

The perceptual behavior of 8-, 9-, and 10-week-old infants as a function of different stimulus forms, individuality, and activation level was observed by means of a time-sampling rating method. The proportion of variance accounted for by the differences between stimuli was found to increase with age; at the same time the effect of autonomic activation processes was decreasing. At the age of 10 weeks the infant can work up an orderly form or good Gestalt more "readily" than a more irregularly-shaped form.

Some problems in connection with the assumptions, methods, and results of the study are then discussed, including form perception theory, the genesis of Subject- and Object-Systems, and some restriction of the method of preferred fixation in the study of infant perception.

Inhalt

Im Mittelpunkt der Berner Längsschnittuntersuchungen zur Entwicklung der Persönlichkeit (MEILI, 1957) steht die Reaktion des Säuglings auf "ungewohnte Reize". Um sowohl die Bedingungen wie die Persönlichkeitsrelevanz dieser Reaktion (LOHR, MEILI und PULVER, 1964; LANG, 1962) besser verstehen und gezielte Forschung betreiben zu können, ist es nötig, die Bedeutung der Reaktion selbst eingehender zu untersuchen.

Aus der Analyse von Filmen beschrieb PULVER (1959a, S. 25) den typischen Verlauf der Reaktion beim 3- bis 4-monatigen Kind auf das Vorzeigen eines Gegenstandes wie folgt:

  • "Die meisten Kinder stoppen die Bewegungen für ein paar Sekunden ganz ab oder dämpfen sie doch wenigstens. Dann werden diese im allgemeinen wieder aufgenommen, häufig verstärkt gegenüber vorher, bei fixierend oder fluktuierend weiterdauerndem Interesse. … Von diesem Verlauf gibt es nun Abweichungen in zwei entgegengesetzten Richtungen. Einerseits bremsen nämlich ein paar Kinder bei der Zuwendung ihre Bewegungen nicht ab, sondern führen sie vergnügt weiter und lächeln den Gegenstand sogar an. Bei einer anderen Gruppe dagegen sind die nach kurzer (oder längerer) Bewegungsstille wiederaufgenommenen Bewegungen nicht von der gelösten, angeregten Art wie im ,normalen' Verlauf; sie wirken vielmehr zappelig-nervös oder doch ruckartig-abrupt, und der Gesichtsausdruck ist unfroh. Offenbar geraten diese Kinder in eine Art Erregungszustand."
  • Der erste Fall wurde "positive", der zweite "negative Wahrnehmungsreaktion" genannt; für eine ausführlichere phänomenologische Analyse wird auf LOHR (1960, S. 5O8ff.) verwiesen.

    In der Auswertung von Filmen einer Standard-Wahrnehmungssituation mit einer kleinen schwarzen Kugel hat PULVER (1959b) gezeigt, dass sich die geschilderten Verhaltensweisen in ihrer global wahrnehmbaren Erscheinungsweise leicht in einem Kontinuum von "gelöst, freudig, zugewandt" bis "gespannt, ängstlich, irritiert" anordnen lassen und von unvoreingenommenen Beobachtern nach kurzer Einübung mit brauchbarer Zuverlässigkeit eingeschätzt werden können. LOHR (1960) ist es gelungen, am gleichen Filmmaterial eine Reihe von objektivierenden Verhaltenskriterien zu definieren, die unter sich und mit der globalen Einschätzung gut übereinstimmen. Dazu gehören die Lidschlagfrequenz, der Bedrohungsreflex, das Kopf-Hin-und-Herwenden, der Bewegtheitsgrad und -Verlauf sowie die Ausrichtung von Körper und Armen auf den dargebotenen Gegenstand.

    Ohne Zweifel sind die beschriebenen Erscheinungen von beträchtlicher allgemein- und differentialpsychologischer Bedeutung. Einmal handelt es sich dabei um so etwas wie die ersten Handlungen oder Vorstufen dazu, da, wie LOHR (1960) gezeigt hat, die frühesten Greifversuche unmittelbar aus der Überwindung der beschriebenen Hemmung herauswachsen. Zum zweiten darf als sicher gelten, dass die Stärke bzw., die Dauer dieser Hemmung unter anderem Ausdruck einer Individualkonstanten ist, die von PULVER (1959a) phänomenal als "Störbarkeit" bezeichnet und von MEILI (1957) als "Grundhaltung zur Gegenstandswelt" in einen theoretischen Rahmen eingeordnet wurde, und deren Persönlichkeitsrelevanz in verschiedenen Verhaltensweisen vorderhand bis ins 8. Lebensjahr nachgewiesen ist (LANG, 1962).

    MEILI hat die geschilderten Erscheinungen in Begriffen einer allgemeinen Reizverarbeitungshypothese zu erklären versucht, indem er annahm, dass nach Reizeintritt "die gesamte nervöse Aktivität auf den perzeptiven Sektor zentriert, auf die Verarbeitung der Reizerregung gerichtet ist" (MEILI, 1957, S. 54). Der Verarbeitungsprozess erscheint als motorische Hemmung, starres Fixieren usf. ; gelingt er, so erfolgt eine Entspannung oder gerichtete Bewegung, "da nun nach Formung der Erregung eine regulierende Einwirkung auf die Motorik möglich ist" (ebenda). Gelingt die Verarbeitung nicht, so löst die gesteigerte Gesamtspannung eine Angstreaktion aus.

    Ausgehend von Befunden über den Lidschlag, versuchte LOHR (1960) diese Hypothese in den Rahmen eines neuromuskulären Spannungsbegriffs zu verallgemeinern. Er argumentierte - allerdings infolge der spezifischen Interaktion der Sehtätigkeit mit dem Lidschlag nicht ganz schlüssig -, die positive Wahrnehmungsreaktion sei Ausdruck einer relativen Fokalisierung der Spannung auf die im Augenblick für einen motorischen Ablauf relevanten Bereiche, während bei der negativen Wahrnehmungsreaktion "die Spannung auf Grund einer erhöhten Energieanlage generalisiert ist, [so dass] nichtrelevante Innervationssysteme miterregt sind" (LOHR, MEILI und PULVER, 1964, S. 22).

    Um das Verständnis der in Frage stehenden Erscheinungen von Einengungen, welche die leicht anthropomorphen Begriffe "Verarbeitung" und "Spannung" nicht ausschliessen, nach Möglichkeit freizumachen, halten wir es für angezeigt, einen noch allgemeineren theoretischen Rahmen zu entwickeln, welcher sowohl die allgemein-psychologischen wie die differentiellen Bedingungen des frühen Wahrnehmungsverhaltens explizit machen soll. Es scheint mir wichtig, die bereits im Ausdruck "positive bzw. negative Wahrnehmungsreaktion" mitschwingende Wertung aus der Theorie auszuschliessen. Der vorgeschlagene Entwurf, so vorläufig er notgedrungen und natürlicherweise ist, sollte grundsätzlich zu einer allgemeinen und differentiellen Psychologie des Handelns ausgebaut werden können und dürfte auch für die Theorie der Persönlichkeit bedeutsam sein.

     Inhalt

     

    Abriss einer Systemtheorie

    Die folgenden Überlegungen sind eine psychologische Konstruktion, nämlich die vom Psychologen vorgestellte, gedachte, aufgeschriebene Bedingungsgrundlage des Verhaltens und Erlebens. Ihre Bindung an die empirische Welt erhält diese Konstruktion, indem durch operationale Definitionen vorgeschrieben wird, wie der Psychologe ausgewählte Verhaltensphänomene mit bestimmten Aspekten der psychologischen Konstruktion in Beziehung setzt.

    Die vorgeschlagene Konstruktion ist ein System, nämlich das psychologische System der Erlebens- und Verhaltensbedingungen des Individuums. Das psychologische System ist eine dynamische, vieldimensionale, hierarchische Organisation von nur relativ selbständigen, relativ durch den Systemzusammenhang bedingten Teilen, welche in einer topographischen Hilfsvorstellung als "Regionen" bezeichnet seien [1].

    Die Bedeutung der Regionen als Erlebens- und Verhaltensbedingungen, d.h. als Repräsentanten der Dinge, Vorstellungen, Begriffe usf., ist durch ihre Stelle im gesamten Systemzusammenhang gegeben: Doch ist diese Bedeutung nicht ein für allemal gegeben, sondern wechselt mit dem Zustand oder der Aktivation der Regionen momentan oder überdauernd. Durch die verschiedenen Aktivationszustände der Regionen werden die verschiedenen Ordnungsgesichtspunkte, in die sie gehören, unterschiedlich akzentuiert. Die jeweiligen Aktivationszustände der Regionen insgesamt, m.a.W. der jeweilige Systemzustand repräsentiert demnach die gerade gegenwärtige Bedingungsgrundlage des Erlebens und Verhaltens des Individuums. Der jeweilige Systemzustand ist nicht nur der vorläufige Endzustand einer Ontogenese; er enthält zugleich den bisherigen und determiniert den künftigen Verlauf dieser Ontogenese.

    Nicht alle möglichen Systemzustände werden mit gleicher Wahrscheinlichkeit verwirklicht; vielmehr sind auf Grund der dynamischen Organisation des Systems selbst gewisse Systemzustände vor anderen ausgezeichnet und relativ beständig. Man denke an eine bewegte Magnetnadel, die in einer durch das gegebene Feld bestimmten Lage zum Stillstand kommt und verharrt, bis die Bedingungen ändern. Im psychologischen System sind einerseits früher erfahrene, gelernte Zustände relativ beständig, welche latent noch vorhanden sind. Anderseits ist aber auch an autochthon ausgezeichnete, weil vielleicht energetisch günstige oder redundante und daher leicht kodierbare Zustände zu denken, welche auch als art- und individualtypische Eigenheiten im Aufbau des betreffenden Organismus begriffen werden können [2]. Empirisch entsprechen den ausgezeichneten Systemzuständen beispielsweise Gewohnheiten, Erwartungen, Gestalten usf.

    Das psychologische System ist ein offenes System; es kommuniziert mit der jeweiligen Aussenwelt. Unter dem perzeptiven Aspekt dieser Kommunikation ergibt sich in jedem psychologischen Moment in Abhängigkeit von der hereinkommenden Reizinformation und vom gerade vorangehenden Systemzustand - und mithin von den das System definierenden Bedingungen insgesamt - ein Systemzustand, welcher Wahrnehmungssystem (Ws) genannt sei. Das System hat daraufhin einen Zustand zu finden, welcher das Wirken in die Aussenwelt, d.h. die Reaktion oder Handlung, repräsentiert. Dieser Übergang vom Ws zum Handlungssystem (Hs) ist die allgemeine Grundlage der Aktivität; was für ein Hs bei gegebenem Ws zustande kommt, d.h. die spezifische psychologische Gesetzmässigkeit, beruht auf der Organisation der Regionen im jeweiligen Aktivationszustands [3].

    Im sukzessiven Übergang vom Wahrnehmungs- zum Handlungssystem muss jeweils "entschieden" werden, wann ein ausführbares Handlungssystem vorliegt und weitere Umformungsprozesse überflüssig sind. In den meisten Fällen wird das Handlungssystem auf Grund des gegebenen Wahrnehmungssystems und der übrigen Systembedingungen ziemlich eindeutig bestimmt sein. Dies gilt besonders für Routine-Reaktionen in eindeutigen Situationen. Das Handlungssystem beruht dann fast ausschliesslich auf der Sachordnung des Systemzusammenhangs (der Regionen). Vermutlich entsprechen solche geläufigen Abfolgen von Ws-Hs-Übergängen in etwa den "Plänen" in den Überlegungen von MILLER, GALANTER und PRIBRAM (1960).

    Wenn andererseits auf Grund des gegebenen Wahrnehmungssystems und der übrigen Systembedingungen zunächst kein oder mehrere konkurrierende Handlungssysteme möglich und wahrscheinlich sind, so muss der Organismus über Massnahmen verfügen, dass er in jedem Fall zu einem ausführbaren Handlungssystem kommen kann. Es wäre in diesem Falle sinnvoll, grössere Bereiche oder gar das Gesamtsystem zu "aktivieren", d.h. durch Zustandsänderungen der Regionen andere Ordnungsgesichtspunkte zur Geltung zu bringen, und zwar, da ja eben kein spezifischer Systemzustand angezielt werden kann, auf eine relativ unspezifische Weise. Durch eine Erhöhung der generellen Eigentätigkeit des Systems [4] könnten in die versuchsweise zu bildenden Handlungssystem-Ansätze Regionen einbezogen werden, die zunächst nicht in Zusammenhang mit dem gegebenen Wahrnehmungssystem noch mit den konkurrierenden Handlungssystemen standen; damit wäre der Bereich möglicher Handlungssysteme und vielleicht auch der Kriterien für deren Ausführbarkeit erweitert. Relativ schwache Aktivationsprozesse dieser Art spielen natürlich bei den meisten alltäglichen Vorgängen, die nicht reine Routinehandlungen sind, eine Rolle. Sie sind immer dann entscheidend wichtig, wenn ein gegebenes Wahrnehmungssystem in irgendeinem Aspekt neu und ungewohnt ist und die Situation nicht mit einem latent vorhandenen Handlungssystem oder sonst auf eindeutige Weise bewältigt werden kann. Darauf ist wohl die umgekehrt U-förmige Abhängigkeit perzeptiver und intellektueller Leistungen von verschiedenen Aktivationsmassen zurückzuführen. Die Aktivation ist eine Voraussetzung dafür, dass das Individuum mehr als "reagieren" kann. Dies, und um einen Grad unverhüllter das Auftreten von ichbezogenen Affekten bei erhöhter Aktivation und im Extremfall von selbsterhaltenden Globalreaktionen (Flucht, Stupor), erweist die eigentliche Bedeutung der Aktivation im Dienste des handelnden Subjekts. Diese systemtheoretische Vorstellung der Aktivation" entspricht in ihren Grundzügen der unter der Bezeichnung Arousal- oder Activation Theory auf CANNON zurückgehenden und vor allem durch LINDSLEY (1951), HEBB (1955) und DUFFY (1962) entwickelten neurophysiologischen und neuropsychologischen Motivationstheorie (vgl. auch COFER und APPLEY, 1964).

    Diese Unterscheidung von Systemzuständen, welche einerseits vorwiegend auf der Sachordnung der Regionen beruhen, anderseits mit den Bedürfnissen und Emotionen zusammenhängen, hat ihren Ursprung in MEILIS (1954, 1957) Unterscheidung von Objekt- und Subjektsystem. Das Objektsystem repräsentiert für das betreffende Individuum seine Erfahrungen und Kognitionen von der physischen und sozialen äusseren Welt; das Subjektsystem ist die auf jene Sachordnung bezogene jeweilige Bedürfnis- und Wertordnung. Unter den im psychologischen System wirksamen Ordnungsprinzipien sind dies die zwei grundlegenden Klassen von Relationen zwischen den Regionen oder von "Wegen", über die der Aktivationszustand jeder Region, und mithin der Zustand des Gesamtsystems, bestimmt wird (vgl. LANG, 1964) [5]. Handlungssysteme auf Grund der Sachordnung spiegeln direkt die Struktur des Objektsystems wider. Das Verhältnis zwischen Aktivationsprozessen und dem Subjektsystem ist jedoch sicher nicht so direkt und betrifft möglicherweise nur gewisse Aspekte der beiden Begriffe.

    Inhalt

     

    Anwendung auf das primäre Wahrnehmungsverhalten

    Ein von aussen an einen erwachsenen Organismus herankommender Reiz bewirkt in der Regel die Herausbildung eines Wahrnehmungssystems, und zwar in Abhängigkeit :

  • 1. von Art und Grad der Reizänderung, und

    2. von den Aufnahmemöglichkeiten des Individuums, d.h. vom gegebenen Systemzustand, verstanden in seinen relativ überdauernden Aspekten (kognitive Struktur) wie auch in seinem aktuellen Aktivationszustand.

  • Diese drei Determinanten wirken nicht unabhängig voneinander, sondern im System als Ganzem. So etwa sind Art und Grad der Reizänderung physikalisch nur approximativ definierbar, da sie nur wirksam werden können in bezug auf die im psychologischem System herrschenden Verhältnisse, beispielsweise irgendwelche Bezugssysteme in ihrer überdauernden Struktur (WITTE, 1960) und ihrem aktuellen Adaptationsniveau (HELSON, 1959). Auch verschmilzt die Repräsentation der Reizänderung zunächst mit der Eigentätigkeit des Systems und muss aus der Gesamttätigkeit des Systems wiederum selektiv isoliert werden.

    Die selektive Isolierung der reizbedingten Struktur, mit anderen Worten die Bildung eines Wahrnehmungssystems, setzt voraus, dass irgendwelche Spuren früherer Wahrnehmungssysteme herangezogen werden können, so dass im Vergleich damit aus der gegenwärtigen Gesamttätigkeit ein systematischer von einem zufälligen, ein brauchbarer von einem überflüssigen Aussenbezug unterschieden werden kann. Wenn solche Spuren nicht bestehen oder nicht hinreichen - wie dies bei den frühesten Wahrnehmungen und auch in sehr ungewohnten Situationen zutreffen dürfte -, kann die Bildung eines Wahrnehmungssystems nicht losgelöst von der Bildung eines Handlungssystems betrachtet werden. Wo keine Perzepte und Konzepte sind, kann nicht eigentlich wahrgenommen, wohl aber muss und kann irgendwie "gehandelt" werden, was in der Folge gerade zum Aufbau von Perzepten und Konzepten führt. Diese Argumentation trifft sich mit PIAGETS Betonung der Bedeutung von sensu-motorischen Schemata, wie auch mit dem Trend der amerikanischen Lernpsychologie, den Akzent auf die Response-Seite der S-R-Beziehung zu verlegen. Die Aufnahmemöglichkeiten des Organismus sind dann im Grunde seine Verhaltensmöglichkeiten. Ontogenetisch sind Wahrnehmungssysteme selbständig gewordene Aspekte von Handlungssystemen. Von hier wird auch einsichtig, warum wir von Wahrnehmungsverhalten sprechen.

    Da, bezogen auf das in Frage stehende Entwicklungsstadium, der Begriff "Handlung" missverstanden werden könnte, möchte ich im Sinne einer Vorstufe des Handlungssystems den Begriff des Verhaltenssystems vorschlagen. Der Säugling von etwa 2 Monaten "verfügt" über eine ganze Reihe von Verhaltensweisen. Neben solchen, die unmittelbar der Befriedigung von Körperbedürfnissen dienen, gibt es Verhaltensweisen, die einen ersten Kontakt zur Umwelt herstellen und aus denen später die Handlungen im engeren Sinn herauswachsen werden. Als die Bedingungsgrundlage solcher Verhaltensweisen sind die Verhaltenssysteme Systemzustände, in denen angeborene und im Gebrauch weiterentwickelte motorische Schemata dominieren. Es ist anzunehmen, dass mehr oder weniger ausgeprägte Teilschemata in den verschiedensten Kombinationen zu mehr oder weniger bestimmten Verhaltenssystemen zusammengefasst sind, die sich teilweise auch überschneiden.

    Die Weiterentwicklung solcher Verhaltenssysteme zu eigentlichen Handlungssystemen ist wahrscheinlich stark von ihrer Wirksamkeit im Umgang mit der Aussenwelt, d.h. von den durch sie erzielten Rückwirkungen, abhängig. Auch wenn das durch einen Aussenreiz ausgelöste oder durch biologisch zu beschreibende Innenbedingungen bewirkte Funktionieren solcher Schemata-Kombinationen keinen gezielten Effekt auf die Aussenwelt ausübt und deshalb nicht als Handlung bezeichnet werden kann, ergeben sich doch dadurch häufig irgendwelche Aussenweltsveränderungen und stets wenigstens irgendwelche Veränderungen des Verhältnisses zwischen Organismus und Aussenwelt. Auf diese Weise ist in der afferenten Erregung stets eine durch das eigene Verhalten bedingte Re-afferenz-Komponente mitenthalten. Bei neuen, ungewohnten Reizsituationen dürfte diese Rückwirkung die Unterscheidung der Reizerregung von Zufallserregung erleichtern. Für den Säugling gilt mithin in besonderem Ausmass, was wir oben etwas abstrakter formuliert haben: er nimmt wahr, indem er "handelt".

    Als elementarste Verhaltenssysteme in diesem Sinn können die Bedingungen der Lageveränderung des eigenen Körpers betrachtet werden, sei es in der Orientierung auf Aussenreize (Taxien) oder durch propriozeptorische Einflüsse, beispielsweise bei Druck auf bestimmte Körperteile. Darüber hinaus werden beim etwa 2 Monate alten Säugling solche Verhaltenssysteme im Hinblick auf eine Kommunikation mit einer Umwelt von Bedeutungen entwickelt. Sie dürften sich, da ein Manipulieren mit Gegenständen und daher eine Rückwirkung der erreichten physischen Umweltveränderungen noch nicht möglich ist, vorwiegend auf den Sozialbereich, also den Bezug zur Mutter oder Pflegeperson, beziehen. Wir haben es hier mit den frühesten vollständigen Funktionskreisen im psychischen Bereich zu tun.

    In der Tat folgen auf gewisse Verhaltensweisen des Säuglings mit einer gewissen Regelmässigkeit gewisse Veränderungen der Aussenwelt, welche eine bestimmte Rückmeldung oder Rückwirkung für den Säugling mit sich bringen. Dies sind einerseits Äusserungen des Unbehagens und der Angst in Gesichtsausdruck und Stimme bis hin zum Weinen und Schreien, welche in der Erfahrung des Säuglings auf Herbeikommen der Mutter, auf Aufgenommen-, Getröstet- und Genährtwerden hinwirken. Zweitens sind es, in der Gegenwart der Mutter, die Orientierung auf deren Gesicht, die auffordernde Zuwendung und besonders das Lächeln, welche differenzierter und gezielter als die Unbehagensäusserung eine Zuwendung, Lächeln und Plaudern der Mutter bewirken und aufrechterhalten können (GOLDSTEIN, 1957 ; WOLFF, 1963) [6].

    Demnach können wir in den sich entwickelnden Verhaltenssystemen vor allem zwei Klassen unterscheiden, solche der Unbehagensäusserung, Abwendung und Selbstsicherung (nennen wir sie A-Systeme) und solche der Zuwendung und des Lächelns(Z-Systeme) [7]. Natürlich sind die biologisch autochthonen Komponenten in der Struktur wie in den auslösenden Momenten beider Verhaltenssystemklassen, besonders bei den A-Systemen, nicht zu verkennen; zunehmend wichtig wird aber auch eine auf diesen angeborenen Mechanismen aufbauende Erfahrungskomponente (Spurenbildung) und mit ihr eine vermehrte Zielhaftigkeit solcher Verhaltensweisen, da sie ja in einem Erwartungs- oder Antizipationszusammenhang auftreten (vgl. dazu den Begriff der Antizipations-Invigoration von COFER und APPLEY, 1964).

    Die Verhaltensweisen der A-Systeme stehen im Zusammenhang der Selbsterhaltung. Sie treten immer dann auf, wenn im Gesamtsystem durch innere Ursachen (z.B. Stoffmangel) oder äussere Einwirkungen (die auf Bedrohung hinauslaufen) Unstimmigkeiten auftreten, also allgemein im Stresszustand. Als Antwort erhöht der Organismus die Systemtätigkeit, sei es in spezifischer Weise wie etwa durch Sensitivierung für die Kennzeichen der Mangelstoffe (vgl. Sensitivierungs-Invigoration bei COFER und APPLEY, 1964) oder in globaler Weise durch eine generelle Erhöhung des Aktivationsniveaus. Dadurch erhöht sich die Chance, die Systemunstimmigkeit auszugleichen, sofern nicht die Aktivation zu rasch über ein gewisses Mass hinaus ansteigt und dann zur Katastrophenreaktion führt. Innerhalb dieser Grenzen steigt also die Wahrscheinlichkeit der Herausbildung von A-Systemen mit zunehmender Aktivation. Beim menschlichen Säugling laufen die durch A-Systeme bedingten Verhaltensweisen auf einen Hilferuf an die Pflegeperson hinaus, sie sind also grundsätzlich sehr effektiv. Bei ungenügender wie bei übermässiger Rückwirkung (Hospitalismus, Oberprotektion) auf A-Systeme scheint es zu Fehlentwicklungen zu kommen.

    Die Verhaltenssysteme der zweiten Art (Z-Systeme) setzen, wenigstens ansatzweise, eine Unterscheidung von innen und aussen sowie eine minimale Strukturierung dieses "Aussen", also das Objektsystem, voraus. Denn das Lächeln oder die Zuwendung sind ja Reaktionen auf einen bestimmten oder Handlungen mit einem bestimmten, nicht beliebigen Reiz und gelten einem durch seine sachliche Eigenart (und sei das zunächst nur sein Ort im Raum) von der übrigen Welt abgehobenen Aussenweltgegenstand. Z-Verhaltenssysteme müssen etwas mit Figur-Charakter einschliessen. Während bei A-Verhaltensweisen eine Orientierung auf die Aussenwelt nur insoweit erfolgt, als etwa zur Vermeidung der bedrohlichen Situation erforderlich ist, sind Zuwendung und Lächeln deutlich auf die Aussenwelt gerichtet. Der wesentliche Unterschied der beiden Verhaltenssystemtypen liegt demnach darin, dass bei den A-Systemen eine diffuse Systemtätigkeit auf Regionen im psychologischen System zentriert ist, die das handelnde Subjekt selbst repräsentieren, während bei den Z-Systemen eine differenziertere Tätigkeit um Regionen gruppiert ist, welche einen relativ abgegrenzten Teil der Umwelt darstellen.

    Die äusseren Manifestationen dieser beiden Klassen von Verhaltenssystemen scheinen dem zu entsprechen, was oben als negative und positive Wahrnehmungsreaktion eingeführt wurde. Die Formulierung in Systembegriffen bringt den Vor- teil, dass wir phänomenal Verschiedenartiges auf ein und dieselbe konditional-genetische Grundlage und deren Variation zurückführen können. Bei A- und Z-Systemen steht zunächst das beiden Systemtypen Gemeinsame im Vordergrund; ihre Unterschiede in gradueller (Aktivation) und struktureller Hinsicht (Bedeutung des Objektsystems) können dann aber um so klarer begriffen werden. Ein zweiter Vorteil der Formulierung in Systembegriffen liegt in der Möglichkeit der Einordnung in eine allgemeinere Theorie der Persönlichkeit (LANG, 1964). Ferner wird es erleichtert, den Wert und Unwert beider Reaktionen für die Entwicklung des Individuums einzusehen.

    Damit können wir MEILIS Reizverarbeitungshypothese in einem all- gemeineren Rahmen und zugleich ein Stück spezifischer wie folgt reformulieren : Wenn wir einem Säugling einen ungewohnten Reiz darbieten, so kommen in seinem Wahrnehmungsverhalten Versuche zum Ausdruck, diesen Reiz im Rahmen von hauptsächlich zwei Klassen von Verhaltenssystemen zu verarbeiten. Ob in einer gegebenen Situation ein A-System (verbunden mit Unbehagensäusserung, Angst und Gespanntheit) oder ein Z-System (verbunden mit Lächeln, Zuwendung und Gelöstheit) zum Zuge kommt, hängt sowohl von der Art des dargebotenen Reizes wie auch von den Voraussetzungen im betreffenden psychologischen System ab. Auf hierfür kritische Eigenschaften von optischen Reizen werden wir unten zu sprechen kommen. Eine wesentliche Systemvoraussetzung ist dessen Aktivationsniveau. Im Lauf der Entwicklung treten ferner strukturelle Bedingungen hinzu (Herausbildung des Objektsystems), die ebenfalls der Bildung von A- oder von Z-Systemen förderlich oder hinderlich sind.

    Diese Rahmenhypothese der Reizverarbeitung wurde durch die in den folgenden Abschnitten dargestellte Experimentalanordnung in empirische Verhältnisse übertragen.

    Inhalt

     

    Versuchsanordnung und Beobachtungsvariable

    Die Versuche wurden im Heim der Kinder durch den Verfasser persönlich und (mit Ausnahme der 9-wöchigen Kinder, wo zu Kontrollzwecken eine zweite Beobachterin anwesend war) allein durchgeführt. Auf Grund der amtlichen Publikation der Geburten schickte der Versuchsleiter etwa eine Woche vor dem vorgesehenen Versuchstag einen Brief an die Eltern, worin der Sinn und die Durchführung des Experimentes allgemeinverständlich, aber einigermassen ausführlich und anschaulich beschrieben wurde. Einige Tage darauf setzte er sich telefonisch mit den Eltern in Verbindung. Dieses Vorgehen hat sich als recht günstig erwiesen, konnten doch auf Grund der insgesamt 65 versandten Briefe 38 Kinder untersucht werden. Von den 27 Absagen waren 20 durch Krankheit, Übersiedelung oder andere Umstände wohlbegründet, nur in 7 Fällen erfolgte eine für den Vl undurchschaubare Absage von Seiten der Eltern. Die sozio-ökonomische Stellung der Familien ist breit gestreut, allerdings sind gegenüber der Bevölkerungsverteilung Familien aus dem oberen Mittelstand überhäufig, Arbeiterfamilien hingegen unterhäufig vertreten. Dementsprechend waren auch Zuvorkommenheit sowie Interesse und die wünschbare Zurückhaltung während der Versuche bei den sozial höhergestellten und intelligenteren Müttern im allgemeinen besser. Das verwendete Kontaktverfahren hat also nicht zu einer bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe geführt, was freilich für die gegenwärtige Fragestellung ohne Belang ist; unsere Stichprobe dürfte andererseits einer Stichprobe von Heimkindern vorzuziehen sein.

    Am Versuchstag selbst kam der Vl etwa eine Dreiviertelstunde vor der üblichen Zeit des Vormittags-Schoppens in die Wohnung und stellte das Darbietungsgerät über dem in seinem Bettchen liegenden Säugling auf. Die meisten Kinder wachten während des Aufstellens auf und staunten den neuen Betthimmel mit grossen Augen an. Während der folgenden 5-7 min konnte sich das Kind an die neue Umgebung etwas gewöhnen, während der VI die Mutter über Befinden und Ernährung des Kindes, Geburt und Schwangerschaft befragte. Er führte dann zwei Probedarbietungen mit Reizfiguren ausserhalb des Versuchsplanes durch und bot anschliessend die vier Reize des Versuchsplans (s. unten) in der vorausbestimmten Reihenfolge dar. Es war beabsichtigt, die vier Reize nach dem Schoppen zu wiederholen. Leider konnten bei einem Teil der Kinder entweder nur die Versuche vor oder nur die Versuche nach der Mahlzeit vollständig durchgeführt werden. Das Darbietungsgerät wurde dann, etwas zurückgeschoben, über dem Bettchen des Kindes stehengelassen, während es darin seinen Mittagsschlaf verbrachte.

    Etwa eine halbe Stunde vor der Mahlzeit am frühen Nachmittag kam der Vl wieder, um die vier Reize des Versuchsplanes je einmal vor und einmal nach dem Schoppen darzubieten. So weit als möglich wurden die Kinder in ihrem üblichen Tagesrhythmus gelassen. Wenn es notwendig war, wurde die Mutter zum Trösten oder Wecken der Kinder herbeigebeten. Mehr mit Geduld als durch Eingriffe wurde versucht, jede Reizdarbietung in einem mittleren Wachheitsgrad zu beginnen. Dem Einschlafen oder Weinen wurde durch sanftes Schaukeln des Bettchens entgegengewirkt, gelegentlich wurde einem sonst schreienden Kind der Schnuller gelassen. Wie jedem einsichtig ist, der mit Kindern in diesem Alter gearbeitet hat, sind die Versuchsbedingungen vom Gesichtspunkt der Kontrolle von unerwünschten Einflüssen für eine systematische Auswertung der Daten unvermeidbar nicht ideal. Immerhin konnten von den 38 untersuchten Kindern 29 in die systematische Auswertung einbezogen werden. Bei acht konnten auch die Nachmittagsversuche nicht vollständig durchgeführt werden ; eines erwies sich erst nachträglich als Frühgeburt.

     

    Abb. 1. Darbietungsgerät für visuelle Reize bei Säuglingen (vgl. Text)

     

    Das Darbietungsgeräts (Abb. 1) bestand in einer Art Tisch mit in der Höhe verstellbaren und zum Transport abnehmbaren Stahlrohrfüssen, von denen zwei mit Rollen versehen sind. Die Masse sind derart, dass der Tisch über praktisch allen gängigen Kinderbettchen, Wiegen und Stubenwagen aufgestellt werden kann. In der Mitte der Tischfläche ist ein quadratischer Kasten aus Aluminiumblech von 40 cm Seitenlänge eingelassen. Dieser Kasten ist durch Gewindestangen in Kettenrädern gelagert und kann durch eine ringsherum geführte Kette mit Hilfe einer Kurbel in der Höhe leicht verstellt werden. Im Deckel des Kastens, der aufgeklappt werden kann, sind 4 Glühlampen angebracht. Den Boden bildet eine unzerbrechliche Mattscheibe; da sandbestrahltes Plexiglas das Licht zu sehr streut und die Kontur der Figuren unscharf macht, wurde eine mit Zeichenpapier belegte Scheibe verwendet. Die darzubietenden Figuren sind in einem Stück steifen, lichtundurchlässigen Papier von der Grösse des Kastens ausgeschnitten, welches von oben in den Kasten eingelegt wird. Ein zweites, am Kastendeckel aufgehängtes Stück Plexiglas presst das Papier beim Schliessen des Deckels flach gegen die Mattscheibe. Von aussen ist nun die Mattscheibe als mittelgraue, homogene und nicht spiegelnde Fläche sichtbar. Sobald die Lampen angezündet werden, erscheint die ausgeschnittene Form als helle Figur mit scharfen Rändern und gutem, doch nicht blendendem Kontrast auf mittelgrauem Grund. Zur Erhöhung des Kontrasts und zur Verhinderung des seitlichen Hinausblickens wird die Mattscheibe auf drei Seiten von einem ebenso grauen Nylonvorhang umgeben, der an der Aussenseite des Bettrandes herunterhängt. Der Säugling liegt so unter einem zwar etwas grauen, sonst aber den häufig verwendeten Betthimmeln nicht ganz unähnlichen Dach. Der Abstand der Mattscheibe vom Gesicht betrug in unseren Versuchen 30 cm. Die verwendeten Reizfiguren (vgl. Abb. 2) hatten eine grösste Ausdehnung von rund 10 cm, so dass ihr Gesichtswinkel etwa 19 Winkelgrad betrug.

    Die Reaktion der Säuglinge auf die Darbietung der Figuren wurde mit einem von der eindrucksmässigen Globalbeurteilung (PULVER, 1959 b) abgeleiteten Zeitstichprobenverfahren festgestellt. Der Beobachter sass neben dem Bettehen ausserhalb des direkten Gesichtsfeldes des Säuglings. Er wartete im Rahmen des Möglichen einen für den Versuch günstigen Zustand des Säuglings zwischen Schlaf und Schreien ab und betätigte gleichzeitig mit dem Anzünden der Lampen seine Stoppuhr. Während der Darbietungsdauer jeder Figur beurteilte er Verhalten und Ausdruck des Kindes in globaler Weise alle 10 sec (während der ersten halben Minute jeder Darbietung alle 5 sec) in bezug auf die folgende 9-Punkte-Skala der Gelöstheit-Gespanntheit:

  • 1 gelöste Zuwendung, freudiges Lächeln;
    2 gut gelöst, Lächeln, Zuwendungsansätze;
    3 gelöst;
    4 eher gelöst;
    5 Indifferenz bzw. Mitte zwischen Lösung und Spannung;
    6 eher gespannt;
    7 gespannt ;
    8 stark gespannt, gebannte Starrheit oder Weinen;
    9 heftiges Weinen, Schreien.
  • Die angeführten Begriffe geben nur grob die Struktur eines Bezugssystems wieder, welches sich für den Beobachter in Vorversuchen herausgeschält hatte. Immerhin ergab sich, soweit die Introspektion hier verlässlich ist, schon bald für jeden Skalenwert ein begrenztes Inventar von wohlerkennbaren Verhaltenszuständen, und andererseits waren die meisten Zustände der Säuglinge jeweils einer Skalenstelle recht eindeutig zugeordnet. Natürlicherweise ergaben sich an den Klassengrenzen hier und da Unsicherheiten, und bei einzelnen Kindern war manchmal die Wahl zwischen den Urteilen 4 und 6 recht schwierig. Es wurde angestrebt, die Beurteilung von rationalen Überlegungen zu befreien und in Richtung einer globalen (Komplex-)Wahrnehmung zu entwickeln. Dadurch wurde vielleicht auch eine gewisse Unabhängigkeit der sich in der Zeit folgenden Bewertungen erreicht. Das einzelne Urteil ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt seiner Fälligkeit bezogen; doch wurden gelegentlich besonders eindrückliche Episoden des vorangehenden Intervalls zur Abrundung oder Aufrundung der Bewertung einbezogen.

    Zusätzlich wurden folgende qualitative Aspekte des Verlaufs protokolliert:

  • a) Durch Kodieren des Gelöstheit-Gespanntheitsurteils in drei verschiedenen Zeilen wurde in jedem Zeitpunkt festgehalten, ob der Säugling die dargebotene Figur
  • aa) fixiert
    bb) so knapp daran vorbeischaut, dass die Figur immerhin im Gesichtsfeld liegt, oder
    cc) von der Figur wegschaut oder die Augen geschlossen hält.
  • b) Bestimmte kurze Verhaltensmuster wie Seufzer, Gähnen, hörbare Vorgänge im Magen-Darm-Trakt, Lutschen an den Fingern, Spiel mit den Fingern, schwächere oder stärkere Bewegungsausbrüche, Ansätze zur Ausrichtung der Arme auf den Reiz und Lächeln wurden im Protokoll mit, Hilfe eines Buchstaben-Kodes im ungefähren Zeitpunkt ihres Vorkommens festgehalten.

    c) Schliesslich wurde vor jeder Reizdarbietung nach dem Vorschlag von BELL (1963) der Aktivitätsgrad des Säuglings im Kontinuum "Tiefschlaf" bis agitiertes Schreien" beurteilt. Versuche wurden fast ausschliesslich in den Zuständen "wache Aktivität" und "wache Inaktivität", selten in den Zuständen "Schläfrigkeit" oder "motorische Agitiertheit ohne Schreien" begonnen.

  • Aus der Zeitstichprobe der Gelöstheit-Gespanntheitsurteils jeder Darbietung wurde, sofern nicht gewichtige Gründe wie Fehlen einer Fixierung in der ersten Minute oder Verdauungsstörungen gegen eine Verwertung des Versuchs sprachen, zur Gewinnung einer statistisch brauchbaren abhängigen Variablen der arithmetische Durchschnitt berechnet. Bei den 8- und 10wöchigen Kindern dauerten die Darbietungen in der Regel 4 min, selten 3 und vereinzelt auch 2 min; bei den 9-wöchigen Kindern haben wir uns mit 3 min Darbietungszeit begnügt. Im Interesse des Versuchsplans wurde eine Verkürzung der Einzeldarbietungen dem Ausfall einzelner Figuren vorgezogen, wenn bei schläfrigen oder aufgeregten Kindern die Gesamtversuchsdauer eingeschränkt werden musste. Nicht verwertbare Darbietungen wurden nach Möglichkeit am Schluss der Reihe wiederholt. Dementsprechend stammen die Gelöstheit-Gespanntheitswerte aus 27 oder 21, vereinzelt aus 15 Zeitstichprobenurteilen. Für die auf ihnen beruhenden Auswertungen verwendeten wir mit dem Faktor 100 multiplizierte dreistellige Werte, die also theoretisch zwischen 100 und 900 variieren können. Auf allen drei Altersstufen sind sie angenähert normal (symmetrisch, aber breitgipflig) verteilt. Natürlich enthalten die Protokolle noch weitergehende Informationen über den Verlauf der Reaktion; doch scheint uns deren Verarbeitung allzu gewagt, solange sie nicht an zuverlässigen Verlaufsmessungen von physiologischen Prozessen oder operational einwandfreier definierten Verhaltensvorgängen gesichert werden kann [10].

    Es liegt nahe, dem Beobachter Abhängigkeit von seinen Erwartungen vorzuwerfen, besonders, da er ja selber die Figuren im Hinblick auf bestimmte Hypothesen entworfen hat und sie vor jeder Darbietung selber in das Darbietungsgerät einlegt. Deshalb muss der Beweis der Objektivität der Beobachtung erbracht werden. Wir haben bei den 9-wöchigen Kindern eine zweite Beobachterin [11] beigezogen, welche ohne Kenntnis der eingelegten Reizfigur gleichzeitig mit dem Versuchsleiter nach dem Zeitstichprobenverfahren das Wahrnehmungsverhalten der Kinder beurteilte. Als Einübung waren einige Stunden freien Beobachtens von zwei etwas älteren Säuglingen, Demonstration des Verfahrens und der Gelöstheit-Gespanntheits-Skala anhand von Filmaufnahmen sowie kurzes Training an einem weiteren Säugling vorangegangen. Während bei den Verlaufskurven gelegentlich Diskrepanzen, besonders zeitliche Verschiebungen, festzustellen sind, ist die Übereinstimmung der Gelöstheit-Gespanntheitswerte im Mittel jeder Reizdarbietung in der Regel vorzüglich. Diskrepanzen von über 100 Wertpunkten sind nur bei zwei der 12 Kinder, bei denen auch der Vl infolge des zwiespältigen Ausdrucksverhaltens über die Richtigkeit seiner Einschätzungen unsicher gewesen war. Wie schon PULVER (1959b) festgestellt hat, sind grössere Abweichungen der Werte des Vl gegenüber denjenigen der unvoreingenommenen Beobachterin meistens im Sinne der Bestätigung der Erwartungen des Vl. Solche Abweichungen scheinen immerhin nur dann aufzutreten, wenn die Beurteilung schwierig ist. Im gesamten erhielten wir aus 96 Versuchen bei 12 Kindern einen Zuverlässigkeitskoeffizienten von r = .88 [12|. Nicht nur die Objektivität des Verfahrens, sondern auch seine Wiederholbarkeit durch Dritte dürfte mithin als gesichert gelten.

    Die Zuordnung dieser Beobachtungsvariablen der Gelöstheit-Gespanntheit zur theoretischen Konzeption dürfte nach dem Gesagten einsichtig sein. Im Zeitstichprobenverfahren beurteilen wir im Grunde genommen alle 10 sec, ob das sichtbare Verhalten des Säuglings jeweils überwiegend durch ein in Bildung begriffenes Verhaltenssystem vom Typus der Zuwendung und des Lächelns (Z-System), d.h. von der handelnden Auseinandersetzung mit dem äusseren Gegenstand, oder von einem Verhaltenssystem vom Typus des hilferufenden Weinens (A- System), d.h. von der Infragestellung der eigenen Person, bedingt ist. Je extremer die Bewertung dem einen oder dem anderen Pol der Skala angenähert ist, desto eindeutiger hat sich der eine oder der andere Verhaltenssystemtypus durchgesetzt. Die Mitteilung der Zeitstichproben- urteile einer Darbietungsperiode ist dann ein Ausdruck der Prominenz (unter Vernachlässigung des Verlaufs) des einen oder des anderen Verhaltenssystemtypus in bezug auf die dargebotene Figur sowie den iiberdauernden und den aktuellen Zustand des Individuums. Niedrige Werte zeigen das Vorherrschen von Z-Systemen, hohe Werte das Vorherrschen von A-Systemen an.

    Wir werden nun diese wenigstens für Explorationsversuche brauchbare Messvariable benützen, um die verschiedenen theoretisch postulierten Faktoren im primären Wahrnehmungsverhalten zunächst aufzuzeigen, in ihrem Verhältnis zueinander abzuschätzen und hernach in ihrer Entwicklung zu verfolgen. Damit können wir uns den unabhängigen Variablen des Versuchsplans zuwenden.

     Inhalt

     

    Die unabhängigen Variablen des Versuchsplanes

     

    Reizvariation

    Unsere Reizverarbeitungshypothese postuliert generell eine Abhängigkeit des Wahrnehmungsverhaltens von der Natur der Reizsituation. Wir haben also nach Reizkonfigurationen zu suchen, von denen wir eine diskriminierende Wirkung auf die Ausbildung von A- bzw. Z-Systemen erwarten können.

    Erst seit wenigen Jahren hat man begonnen, über die Feststellung der sensorischen und sensu-motorischen Kapazitäten und ihrer Entwicklung hinaus nach den frühesten Diskriminationsmöglichkeiten des Säuglings zwischen Strukturen und den dafür massgebenden Dimensionen des Reizmaterials bzw. der Wahrnehmung zu fragen. Die Zahl der einschlägigen Untersuchungen mit Säuglingen im Alter von weniger als einem halben Jahr ist noch sehr gering, und ihre Ergebnisse sind entsprechend unsicher und nicht wenig von der Natur der eingesetzten Methode mitbestimmt. Dies ist durchweg die Methode der bevorzugten Fixierung, wobei im Paarvergleich entweder die Fixierdauer beider Reize während einer konstanten Darbietungszeit gemessen und verglichen (FANTZ, 1958; VENGER, 1962; HERSHENSON, 1964; SAAYMAN et al., 1964; SPEARS, 1964; THOMAS, 1965) oder die Richtung des ersten Blickkontakts (BERLYNE, 1958) bzw. die Nachfolgebewegung des Blicks auf die auseinanderbewegten Reize ( GRAEFE, 1963) festgestellt wird. Schliesslich hat FANTZ (1961, 1963) auch die Fixierdauer bei Darbietung von Einzelreizen gemessen und nachträglich zwischen den Reizen verglichen.

    Diese Methode der bevorzugten Fixierung oder des bevorzugten Blickkontakts hat ermöglicht, die Entwicklung der Formwahrnehmung auf einer weit früheren Altersstufe nachzuzeichnen, als dies vorher mit Wahldressur-Versuchen unter Voraussetzung des Greifvermögens möglich gewesen war. Da das Fixiervermögen schon sehr früh hinreichend ausgebildet ist (LIND, 1942; GREENMAN, 1963; vgl. auch die Zusammenstellung der Literatur bei GRAEFE, 1963, S. 178), scheint die Methode von der Entwicklung der Reaktion einigermassen unabhängig zu sein. Die Idee, die Blickbewegungen als Variable zu benützen, wurde unabhängig und einigermassen gleichzeitig von drei Forschem, BERLYNE, FANTZ und GRAEFE, ausgenützt. So einfach und zuverlässig sie experimentell einzusetzen ist, so schwierig sind jedoch unseres Erachtens mit dieser Methode gewonnene Daten zu interpretieren, de, bevorzugte Fixierung psychologisch verschiedene Ursachen haben kann (vgl. unter Diskussion). Die uns bekannten Untersuchungen zeigen zudem eine gewisse Willkür und mit einer Ausnahme eine erstaunliche "Traditionsgebundenheit" in der Auswahl der verwendeten Reizkonfigurationen.

    Das Hauptergebnis dieser Untersuchungen besagt, dass komplexere Figuren bevorzugt werden. Der hierbei verwendete Begriff der Komplexität ist aber recht schillernd und vorderhand nicht mehr als ein Sammelname für eine Reihe von mehr oder weniger zusammengehörigen phänomenologisch oder physikalisch-informationstheoretisch definierten Strukturmerkmalen (BERLYNE, 1960, 1964; HECKHAUSEN, 1964). Im allgemeinen wurden schachbrettartige Muster, Anordnungen von Streifen oder Zufallsfiguren mit unterschiedlicher Dichte von schwarzen und weissen Flächen dargeboten. BERLYNE (1958) glaubte Komplexität durch die gesamte Länge oder Menge an Konturen definieren zu können und erklärte die Blickzuwendung auf Grund eines peripheren Mechanismus im Rahmen des Orientierungsreflexes. Gewöhnlich sind sonst bei Säuglingsuntersuchungen als Merkmale der Komplexität Zahl und Anordnung (Unregelmässigkeit) von Figurelementen verwendet worden. In diesem Sinn komplexere Figuren wurden vorgezogen in den Untersuchungen von FANTZ (1958), BERLYNE (1958), MOFFETT (1963), SPEARS (1964) und THOMAS (1965). Widersprechende oder wenigstens in sich widersprüchliche Ergebnisse finden sich bei GRAEFE (1963) und in den sehr exakten Experimenten von HERSHENSON (1964)[13]; ferner lässt sich die bei SPEARG (1964) am eindeutigsten bevorzugte Figur mit konzentrischen Ringen ("bull's eye") in keine Komplexitätsskala ohne Zwang einfügen, da sie sowohl die konturenreichste wie auch die regelmässigste der verwendeten Figuren ist. Auch die Skalierung der Figuren bezüglich phänomenaler Komplexität durch Dritte (z. B. eine Stichprobe von Studenten bei THOXAS, 1965, oder das Gutdünken des Experimentators bei FANTZ, 1961) ist problematisch, besonders wenn sie diese Autoren darüber hinwegtäuscht, dass die verwendeten Reize doch wohl kein eindimensionales Kontinuum der Komplexität repräsentieren.

    Der Tatsache der Entwicklung der Wahrnehmung wurde, wie die Zusammenstellung von altersmässig sehr heterogenen Stichproben zeigt, wenig Aufmerksamkeit gezollt; und dies, obwohl schon FANTZ (1958. 1961) bis zum Alter von 6 Wochen eine Bevorzugung von waagrechten Streifen über konzentrische Ringe fand, während von 8 Wochen an die konzentrischen Ringe länger fixiert wurden. Dies ist eine merkwürdige Erscheinung, deren Erklärung noch aussteht.

    Die Methode der bevorzugten Fixierung ist unbefriedigend, weil sie das Vorhandensein von Diskrimination nicht notwendig anzeigt und also nicht zum Nachweis des Fehlens von Diskrimination dienen kann. In der Tat haben SMYSIAN, ANES und MOFFETT (1964) im Widerspruch zu den Schlussfolgerungen von FANTZ (1958) nachgewiesen, dass die Unterscheidung zwischen einer Kreisscheibe und einem Kreuz gleicher Fläche im Alter von 12-15 Wochen möglich ist. Wird nämlich der von jeder Vp in einem Voraustest bevorzugte Reiz, sei dies Kreis oder Kreuz, während 4i/, min zur Familiarisierung dargeboten, so vermindert sich seine Fixierdauer im nachfolgenden Endtest; die Fixierdauer des zunächst nicht bevorzugten Reizes bleibt hingegen nach Familiarisierung unverändert. Auch VENGER (1962) experimentierte mit dem Moment des Vertrautseins: In neuer Umgebung werden vertraute Formen nicht wiedererkannt; anderseits sollen beim 2- bis 3monatigen Kind sogar Grude des Diskriminationsvermögens festgestellt worden sein.

    In der originellen Untersuchung von GRAEFE (1963) erwies sich das Strukturmerkmal der Gliederung als bedeutsam : mehrheitliche, geteilte Figuren wurden im Alter von 10 bis 13 Wochen vor einheitlichen bevorzugt (5 Punkte vor Kreisscheibe oder Kreisring). Ferner scheinen länglich erstreckte sowie kompakt geballte Formen eine gewisse Auszeichnung zu erfahren.

    Schliesslich fällt auf, dass zwar in GRAEFES Reizvorlagen klassische Gestaltfaktoren wie Geschlossenheit, Symmetrie, Gleichartigkeit, gute Fortsetzung, usf. verwirklicht sind; die Rolle der Prägnanz der Figur oder der Güte der Gestalt wurde aber bisher nicht untersucht.

     

     

    Abb. 2. Die vier Reizfiguren Kreis, Schlaufe, Punktkreis und Punktschlaufe nach den Gesichtspunkten der Geordnetheit und der Gliederung.

     

    Die Ergebnisse dieser Untersuchungen über die frühe Formwahrnehmung sind alles andere als schlüssig und belegen eine erstaunliche Ineffizienz der psychologischen Forschung auf diesem wichtigen Gebiet. Obwohl wir eine andere abhängige Variable verwenden, war es angebracht, die zitierten Untersuchungen zur Auswahl unseres Reizmaterials heranzuziehen. Es schien wünschenswert, die Strukturmerkmale der Gliederung und der guten Gestalt zu berücksichtigen ; ferner sollte das Merkmal der Komplexität, und zwar nicht als solches, sondern nach Möglichkeit aufgeteilt in seine verschiedenen Aspekte, einbezogen werden. Kontrolle war notwendig für Helligkeit, d.h. die Gesamtfläche der Figuren sollte gleich sein. Auch die von der Figur auf dem umgebenden Grund eingenommene Fläche sollte nicht allzu unterschiedlich sein (GRAEFE, 1963). Nach langem Herumprobieren entschieden wir uns schliesslich für die in Abb. 2 abgebildeten Reizfiguren, welche je paarweise die Strukturmerkmale der guten Gestalt, Geordnetheit oder Redundanz (Kreisform gegen zufällige Schlaufenform) sowie der Mehrheitlichkeit-Einheitlichkeit oder Gliederung (punktierte gegen durchgezogene Figuren) realisieren14. Die Figuren wurden hell auf dunklem Grund gezeigt, um eine grössere Attraktivität des Blicks zu erzielen (STIRNIMANN, 1940; HERSHENSON, 1964). Die grösste Ausdehnung der Originalfiguren betrug 10 cm. Die Figurfläche war bei allen 4 Reizen ungefähr 1840 mm 2, die Gesamtlänge der Konturen rund 525 mm. Damit war es möglich, den Aspekt der Konturenlänge (BERLYNE, 1958, 1960) konstant zu halten [15]. Die vier Reize wurden in vorausbestimmter Reihenfolge so dargeboten, dass bei je 4 Kindern alle Reize gleich oft in allen Positionen vorkamen.

    Auf dem Hintergrund der Systemtheorie des frühen Wahrnehmungsverhaltens erwarten wir, dass die vier verschiedenen Reizfiguren in unterschiedlicher Weise die Bildung von A- bzw. Z-Systemen erleichtern oder erschweren, was empirisch in unterschiedlich hohen Gelöstheit-Gespanntheits-Werten zum Ausdruck kommen soll. Statistisch werden wir die Nullhypothese prüfen, dass zwischen den Reizen keine Unterschiede seien. Bezüglich der Wirkung der einzelnen Figuren bzw. der beiden Strukturmerkmale Geordnetheit und Gliederung, und auch bezüglich der Entwicklung des Wahrnehmungsverhaltens bei den verschiedenen Reizen, scheint es uns verfrüht, bestimmte Hypothesen aufzustellen und zu prüfen. Unsere Erwartung ist natürlich, dass geordnete Figuren (Kreis, Punktkreis) die Bildung von Z-Systemen fördern. Gegliederte Figuren hingegen, so scheint es uns intuitiv, könnten die Bildung von Z-Systemen erschweren; doch könnte man gestaltpsychologisch hypostasieren, dass die Punktfiguren von den entsprechenden durchgezogenen Figuren als gestaltgleich nicht unterschieden werden (WERTHEIMER, 1922), während eine lernpsychologische Wahrnehmungstheorie (HEBB, 1949) eigentlich eine Erleichterung der Wahrnehmung bei gegliederten Figuren annehmen und also eine Tendenz zur Bildung von Z-Systemen bei den Punktfiguren voraussagen müsste (vgl. unter Ergebnisse).

     

     

    Individualkonstante

    Entsprechend den Ergebnissen aus der Berner Längsschnittuntersuchung (PULVER, 1959a und b) ist eine beträchtliche interindividuelle Variation auch bei unserem Mass der Gelöstheit-Gespanntheit zu erwarten. Da es sich dabei um eine über weite Entwicklungsperioden sich erhaltende Individualkonstante handelt (LANG, 1962), ist es nicht gerechtfertigt, die interindividuelle Varianz als zufallsbedingt zu betrachten und im varianzanalytischen Versuchsplan die Prüfstreuung darauf abzustellen. Es war uns aber aus versuchsäusseren Gründen auch nicht möglich, den der Individualkonstanten entsprechenden Varianzanteil durch die Aufnahme einer weiteren Variablen (etwa des Standardversuchs mit der schwarzen Kugel in der Auswertung nach PULVER, 195913, oder LOHR, 1960) in einem kovarianzanalytischen Versuchsplan zu binden.

    So haben wir uns damit begnügt, die Individuen als eine eigene Variable "Kinder" in den Versuchsplan aufzunehmen. Dies ist nicht nur im Hinblick auf eine richtige Schätzung der Zufallsvarianz günstig, es führt möglicherweise auch zu gewissen, für die Interpretation bedeutsamen Wechselwirkungen. Bei der Interpretation ist zu bedenken, dass die Variable "Kinder" natürlich nicht die Wirkung der Individualkonstanten allein darstellt, sondern auch Momente wie etwa den Zustand des Kindes am betreffenden Versuchstag und andere nicht konstantgehaltene Situationsbedingungen einschliesst. Statistisch prüfen wir die Nullhypothese, dass keine Unterschiede zwischen den Kindern seien; die Richtung der Unterschiede ist im gegenwärtigen Zusammenhang ohne Bedeutung.

     

     

    Aktivation

    In der revidierten Reizverarbeitungshypothese haben wir dem Aktivationszustand im Zeitpunkt der Reizdarbietung eine gewichtige Rolle zugewiesen. Da das Aktivationsniveau nicht allein vom Organismus abhängt, sondern durch die Natur der jeweils einwirkenden Reize beeinflusst wird (DUFFY, 1962), planten wir zunächst, das Aktivationsniveau vor der Darbietung der Reize und gleichzeitig mit der Beobachtung des Wahrnehmungsverhaltens zu messen. Damit hätten wir die Wirkung sowohl der vom Organismus wie der vom Reiz her bedingten Aktivation auf das Wahrnehmungsverhalten abschätzen können, Wir haben schliesslich, nach Vorversuchen mit Hautpotential-, Herzschlag- und Atemfrequenzmessungen, vorderhand nicht nur aus versuchstechnischen Schwierigkeiten darauf verzichtet, sondern auch, weil die Relation dieser Masse zum Aktivationsniveau durchaus nicht klar und eindeutig ist (DUFFY, 1962 ; LACEY, 1966). Die Verwendung eines Einzelmasses würde nach der vorliegenden Literatur leicht zu Fehlschlüssen führen, während eine gesicherte Kombination mehrerer solcher Masse noch nicht verfügbar ist. Immerhin ist die Anwendung solcher Masse bei Säuglingen inzwischen durch die Arbeiten von LIPTON, RICHMOND und STEINSCHNEIDER vorbereitet worden (vgl. LIPTON und STEINSCHNEIDER, 1964).

    Ferner wird in Zukunft ein differenzierterer Aktivationsbegriff unumgänglich sein (LACEY, 1966). Wir beschränken uns daher für jetzt im Sinne der Reizverarbeitungshypothese auf den Nachweis der Wirkung der Aktivation überhaupt und setzen einen sehr globalen Aktivationsbegriff voraus. BAUMEISTER, HAWKINS und CROMWELL (1964) zitieren hinreichende Belege dafür, dass die Aktivität von Tier und Mensch mit zunehmendem Hunger im allgemeinen ansteigt. Auch beim menschlichen Säugling ist der Aktivitätsgrad in der Regel nach der Mahlzeit am niedrigsten, steigt dann kontinuierlich an und ist vor der Mahlzeit am höchsten (IRWIN, 1932). Insofern der Aktivitätsgrad allgemein als ein approximativer Ausdruck des Aktivationsniveaus betrachtet werden kann (DUFFY, 1962), verfügen wir mithin im Zustand vor und nach der Mahlzeit über eine experimentell denkbar einfach einzusetzende Variable zur Variation des Aktivationsniveaus. COFER und APPLEY (1964) interpretieren sogar die Aktivitätserhöhung vor der Fütterung ganz spezifisch als Aktivationserhöhung auf Grund der Antizipation der Mahlzeit. Auch physiologische Untersuchungen scheinen diese Annahme einer aktivierenden Funktion des Hungers zu bestätigen (DELL, 1957).

    Demnach haben wir unseren Versuchskindern die gleichen Reize vor und nach der Mahlzeit in vertauschter Reihenfolge dargeboten. Statistisch prüfen wir die Nullhypothese, dass bezüglich der Gelöstheit-Gespanntheit keine Unterschiede zwischen den Zeiten seien. Wir erwarten vor der Mahlzeit infolge der relativ erhöhten Aktivation eine Tendenz zu A-Systemen, während nach der Mahlzeit die Tendenz zu Z-Systemen hervortreten soll; dementsprechend sollen die Gelöstheit-Gespanntheits-Werte vor der Mahlzeit höher sein als nachher.

     

     

    Versuchsplan

    Die beschriebenen Variablen in ihrer gleichzeitigen Wirkung auf das Wahrnehmungsverhalten des Säuglings ergeben eine dreidimensionale Datenmatrix über Reize x Kinder x Zeiten, welche die Voraussetzungen einer dreifachen Varianzanalyse mit einem Messwert pro Tafelfeld erfüllt.

    Aus Versuchen im August und September 1964 verfügen wir über Daten von 8 achtwöchigen und 9 zehnwöchigen Kindern, im März 1965 untersuchten wir weitere 12 Kinder im Alter von 9 Wochen [16]. Das tatsächliche Alter der Kinder am Tag der Untersuchung weicht im Maximum +-2 Tage von 56, 63 bzw. 70 Tagen ab. Die parallele Auswertung von drei unabhängigen Stichproben auf verschiedenen Altersstufen erlaubt erste genetische Schlussfolgerungen.

    Der ursprüngliche Versuchsplan hatte vorgesehen, die zweimalige Durchführung der Versuche am Vor- und am Nachmittag zur Schätzung einer Prüfstreuung zu benützen, obgleich vermutlich Wirkungen des Tagesrhythmus und ein Lerneffekt darin enthalten wären. Jedenfalls wäre dies einer unmittelbaren Wiederholung vorzuziehen, welche nicht nur dem Säugling nicht zugemutet werden kann, sondern auch den Lerneffekt wahrscheinlich verstärken würde. Leider konnten aber aus äusseren Gründen die Vormittagsversuche nur mit sehr wenigen Kindern vollständig durchgeführt werden. So sind wir genötigt, die doppelte Wechselwirkung a priori als zufallsbedingt anzunehmen, um die einfachen Wechselwirkungen statistisch prüfen zu können. Die Grössenordnung der gefundenen Durchschnittsquadratwerte lässt dieses Vorgehen als vernünftig erscheinen (vgl. Tabellen 1, 2 und 3). Zur Berechnung der Varianzkomponenten (siehe unten) wurden alle nichtsignifikanten Wechselwirkungen in eine Reststreuung zusammengefasst.

    Inhalt

     

    Ergebnisse und Interpretation

    In den Tabellen l-3 finden sich die Resultate der Varianzanalysen bei den 8,9 bzw. 10 Wochen alten Kindern. Mit Ausnahme der Wirkung der Reize auf der Altersstufe 8 können wir die Nullhypothesen zurückweisen und statuieren, dass, gemessen an unseren Gelöstheit-Gespanntheitswerten, die Ausbildung von A- bzw. Z-Verhaltenssystemen sowohl von der Natur der Reize wie auch von der individuellen Eigenart und vom aktuellen Aktivations- oder Motivationszustand des Säuglings beeinflusst ist. Darüber hinaus zeigt die signifikante Wechselwirkung Kinder x Zeiten an, dass der aktuelle Zustand bei verschiedenen Kindern auf unterschiedliche Weise wirksam werden kann.

     

    Tabelle 1 Dreifache Varianzanalyse der Gelöstheit-Gespanntheitswerte bei achtwöchigen Kindern

    Streuung

    FG

    Durchschnitts-quadrate

    F-Test

    Varianzkomponenten

    sigma-quadr.

    %

    zwischen den Kindefrn

    7
    54972
    4,27
    6099
    25

    innerhalb der Kinder

    56
    12867

    Zeiten

    1
    281562
    13,12
    8606
    35

    K x Z

    7
    21457
    4,31
    3819
    15

    Reize

    3
    3546
    n.s.
    --
    --

    K x R*

    21
    7874
    n.s.

    Z x R*

    3
    2752
    n.s.

    K x Z x R*

    21
    4979

    *Rest

    45
    6182
    6182
    25

    Insgesamt

    63
    24706
    100

    Alle angeführten P-Werte sind wenigstens auf dem 1 %-Niveau signifikant.

     

    Um ein Bild über die Entwicklung dieser Einflüsse zu gewinnen, haben wir eine Schätzung der Varianzkomponenten durchgeführt (HAYS, 1963; EDWARDS, 1960). Jeder einzelne Messwert xrkz kann als eine Summe von Komponenten, beruhend auf den signifikanten Ursachen des Versuchsplans, gedacht werden :

    X rkz = X + X1 + Xk + Xz + Xkz + XRest

     

    Tabelle 2 Dreifach Varianzanalyse der Gelöstheit-Gespanntheitswerte bei neunwöchigen Kindern

    Streuung

    FG

    Durchschnitts-quadrate

    F-Test

    Varianzkomponenten

    sigma-quadr.

    %

    zwischen den Kindefrn

    11
    28588
    2,25
    2774
    13

    innerhalb der Kinder

    84
    12699

    Zeiten

    1
    92381
    2,26
    (1791)
    (9)

    K x Z

    11
    40816
    46,06
    8605
    42

    Reize

    3
    28962
    4,40
    940
    5

    K x R*

    33
    6578
    n.s.

    Z x R*

    3
    709
    n.s.

    K x Z x R*

    33
    6736

    *Rest

    69
    6398
    6398
    31

    Insgesamt

    95
    20508
    100

    Angeführte F-Werte wenigstens auf dem 5 %-Niveau signifikant mit Ausnahme von F = 2,26 (p < 10% für einseitige Fragestellung)

     

    Tabelle 3 Dreifache Varianzmulyae der Gelöstheit-Gespanntheitswerte bei zehnwöchigen Kindern

    Streuung

    FG

    Durchschnitts-quadrate

    F-Test

    Varianzkomponenten

    sigma-quadr.

    %

    zwischen den Kindefrn

    8
    52009
    4,67
    5823
    29

    innerhalb der Kinder

    63
    11135

    Zeiten

    1
    136155
    7,80
    3631
    18

    K x Z

    8
    17456
    3,34
    3007
    15

    Reize

    3
    49655
    8,94
    2457
    12

    K x R*

    24
    5551
    n.s.

    Z x R*

    3
    6094
    n.s.

    K x Z x R*

    24
    5219

    *Rest

    51
    5427
    5427
    26

    Insgesamt

    71
    20345
    100

    Alle angeführten F-Werte auf dem 1 %-Niveau signifikant.

    Wir schätzen die Streuungen dieser gedachten Komponenten. Wenn wir diese Varianzkomponenten in Form von Prozentanteilen vergleichen, gewinnen wir einen Einblick in die verhältnismässige Stärke des Einflusses der untersuchten Variablen und können die Entwicklung des Stärkeverhältnisses verfolgen. Dieser Vergleich über die drei Altersstufen ist in Abb. 3 dargestellt [17].

    Im glatten Verlauf von 0 über 5 zu 12% wird deutlich, dass die Reize mit zunehmendem Alter eine zunehmend stärkere Wirkung ausüben. Im Alter von 8 Wochen ist entweder noch keine unterschiedliche Wirkung der verschiedenen Reize auf die Ausbildung von Verhaltenssystemen vorhanden, oder deren Feststellung ist uns mit unserer relativ groben Beobachtungsvariablen nicht gelungen. Wir haben die Genugtuung, unsere Versuche auf einer bezüglich der verwendeten Reize sowie der Beobachtungsvariablen kritischen Altersstufe durchgeführt zu haben [18].

     

     

    Abb. 3. Prozentanteile der Varianzkomponenten der signifikanten Ursachen auf drei Altersstufen

     

    Einen beträchtlichen Teil der erfassten Varianz können wir auf Individualunterschiede zurückführen, ohne dass wir im gegenwärtigen Versuchsplan in der Lage sind, genauere Angaben zu deren Interpretation beizubringen. Auch muss natürlich offenbleiben, wieviel davon auf eine relativ überdauernde Individualkonstante und wieviel bloss auf das Befinden des Säuglings am Versuchstag, ja zur Versuchsstunde zurückgeht. Immerhin ist die Annahme gerechtfertigt, dass unser Versuch dem bisher in den Berner Längsschnittuntersuchungen benützten Standardversuch mit der schwarzen Kugel prinzipiell gleichzusetzen ist [19]. Die hier festgestellten Individualunterschiede können also wohl zu der in der Einleitung beschriebenen Individualkonstanten der Grundhaltung zur Gegenstandswelt (PULVER, 1959 a ; LANG, 1962) in Beziehung gesetzt werden. Für künftige Längsschnittvergleiche zum Nachweis ihrer Konstanz ist zu bedenken, dass der Varianzanteil dieser Individualkonstanten von einer Grössenordnung von kaum mehr als 25% ist. Die von LANG (1962) berechnete Korrelation von .51 zwischen Störbarkeit im ersten und einem Verhaltenssyndrom der primären Hemmung in ungewohnten Situationen im 8. Lebensjahr erscheint demnach als sehr bedeutsam.

    Der Anteil der Varianz, der auf den Aktivationszustand (Zeiten) zurückgeht, ist ebenfalls recht beträchtlich. Er scheint mit zunehmendem Alter abzunehmen. Die zunehmende Wirkung der Reize entwickelt sich gegenläufig zur abnehmenden Wirkung des Aktivationszustandes. Die Bildung von A- oder Z-Systemen ist mit 8 Wochen grösstenteils durch den jeweiligen biologischen Zustand bestimmt, während mit 10 Wochen die Diskriminationsmöglichkeiten des Kindes zwischen verschiedenen Aussenweltskonfigurationen die Obermächtigkeit der Aktivation bereits zurückdrängen. Gewisse Züge der Aussenwelt führen jetzt als solche zur Bevorzugung von A- oder von Z-Systemen, sei es auf Grund von autochthonen Eigentümlichkeiten der diese Reize repräsentierenden Erregungsmuster, oder sei es auf Grund von ersten Erfahrungen mit A- oder Z-Verhaltensweisen, welche mit ihnen assoziierte Aussenweltszüge auszeichnen. Beide Möglichkeiten der Auszeichnung gewisser Züge der Aussenwelt und natürlich auch jede denkbare Kombination dieser beiden belegen die Wirksamkeit wenigstens der ersten Ansätze eines Objektsystems. Im Alter von 8-10 Wochen -- vorausgesetzt unsere Ergebnisse sind durch unsere Methode nicht allzu sehr relativiert -- scheint demnach die "Allmacht" des Subjektsystems zugunsten des sich entwickelnden Objektsystems zurückzutreten. Dies entspricht etwa und bestätigt MEILIS (1957) Angaben über die "Ausscheidung einer Aussenwelt".

    Es ist durchaus einsichtig, dass individuelle Eigenart und aktueller Zustand ferner in einer eigentümlichen Kombination (Wechselwirkung Kinder x Zeiten) wirksam werden. Die vorhandenen Daten geben zwar keinen Beweis dafür, legen jedoch die Vermutung nahe, dass bei mittleren (und gelegentlich auch bei niedrigen) Graden der Gelöstheit-Gespanntheit als Individualkonstante die durch den aktuellen Zustand bedingten Schwankungen auf der Gelöstheit-Gespanntheitsskala geringer sind als bei extremer Gespanntheit. Warum der Anteil der Interaktion K x Z bei 9 Wochen gegenüber 8 und 10 Wochen offenbar auf Kosten der Anteile der beiden Einzelursachen relativ grösser ist, wird eine einfache Erklärung finden und indirekt Anlass zu interessanten Spekulationen geben (vgl. unter Diskussion: Aktivationsverlauf).

    Wenn man, in simplifizierender Weise, die Wirkung der Mahlzeit auf den Aktivationszustand bezieht und auf Subjektsystemvorgänge zurückführt, für Unterschiede zwischen den Reizen jedoch Objektsystemvorgänge voraussetzt, so spricht das Fehlen einer signifikanten Interaktion zwischen Reizen und Zeiten für die wechselseitige Unabhängigkeit der beiden Teilsysteme. Ferner lässt sich vermuten, dass das Objektsystem [20] wöchiger Kinder noch zu wenig differenziert ist, um in einer Interaktion Reize x Kinder als Ausdruck der individuellen Eigenart der Objektsysteme der verschiedenen Versuchspersonen manifest zu werden. Doch ist anzunehmen, dass ein solcher Ausdruck etwas später im Lauf der Entwicklung auftreten wird, vorausgesetzt, dass geeignete Reizsituationen und ausreichend feine Messmethoden eingesetzt werden. Ein relativ frühes Erscheinen dieses Ausdrucks würde für eine schon gewichtige Rolle der Erfahrung bei der Ausbildung der ersten Objektsystem-Struktur sprechen; je später er erscheint, desto bedeutsamer wäre die Rolle autochthoner Momente im Bauplan des Objektsystems zu veranschlagen.

    Nun können wir uns der Interpretation der Tendenzen zuwenden. Über die Unterschiede zwischen den Kindern wurde bereits das Nötige gesagt: wir begnügen uns mit ihrer Feststellung. Die Durchschnittswerte der Kinder über alle 4 Reize bei beiden Zeiten fallen im Alter von 8 Wochen zwischen 529 und 753, bei 9 Wochen zwischen 484 und 692, mit 10 Wochen ist der Bereich 435 bis 654.

    Das Wahrnehmungsverhalten für die Aktivationszustände vor und nach der Mahlzeit, und für deren Durchschnitt ist in Form von Entwicklungskurven in Abb. 4 dargestellt. Es ist deutlich, dass auf allen untersuchten Altersstufen nach der Mahlzeit die Tendenz in Richtung Gelöstheit, vor der Mahlzeit in Richtung Gespanntheit geht. Entsprechend unserer Erwartung ist bei erhöhtem Aktivationsniveau vor der Mahlzeit die Ausbildung von A-Systemen wahrscheinlicher, nach der Mahlzeit treten bei vermindertem Aktivationsniveau die Z-Systeme verhältnismässig häufiger auf. Wir können auch die Nullhypothese bei einseitiger Fragestellung (dass das Wahrnehmungsverhalten nach der Mahlzeit nicht gelöster sei als vorher) gemäss den F-Tests in den Tabellen l-3 für alle drei Altersstufen zurückweisen.

     

     

     

    Abb. 4. (links) Gelöstheit-Gespanntheitswerte vor und nach der Mahlzeit und im Mittel auf drei Altersstufen

    Abb. 5. (rechts) Gelöstheit-Gespanntheitswerte bei vier verschiedenen Reizfiguren auf drei Altersstufen.

     

    Dass der Durchschnitt insgesamt durchwegs über der theoretischen Skalenmitte von 500 liegt, mag zum Teil methodisch bedingt sein; der leichte Abwärtstrend der Durchschnittskurve in ihrem glatten Verlauf deutet aber auch auf eine systematische Ursache hin. Einerseits kommt in den durchwegs erhöhten Werten möglicherweise zum Ausdruck, dass wir unseren Säuglingen verhältnismässig schwere "Aufgaben" gestellt haben: die Situation als für den Säugling ungewöhnlich; Kreise und Schlaufen sind angedeutet und den Figuren entsprechend mit durchgezogenen oder punktierten Linien verbunden es ist angebracht, vorwiegend in Termini von A-Systemen zu reagieren. Dieser Interpretation entspricht die phänomenologische Interpretation der Versuchssituation bei der Mehrzahl der Kinder sowohl durch den Vl wie durch die Mütter; bei einigen Kindern hatte man allerdings, besonders nach der Mahlzeit, den Eindruck, dass sie die Darbietung der Figuren mit wachem Interesse und heller Freude ausgesprochen geniessen. Anderseits weist der leichte Abwärtstrend der Entwicklungskurve aber auch auf das vorliegen von Reife- und/oder Lernprozessen, d.h. auf die Entwicklungsabhängigkeit des Wahrnehmungsverhaltens hin. Die A-Systeme sind ontogenetisch früher als die Z-Systeme; das Weinen kommt vor dem Lächeln.

     

     

     

    Abb. 5 zeigt das Wahrnehmungsverhalten in Form von Entwicklungskurven für die vier verschiedenen Reizfiguren. Entsprechend dem F-Test der Tabellen l-3 sind die Unterschiede bei 8 Wochen statistisch nicht gesichert, während die Nullhypothesen, dass keine Unterschiede bestünden, bei 9 und 10 Wochen zurückgewiesen werden konnten. Untersucht man die einzelnen Unterschiede mit DUNCAN Multiple Range Test (EDWARDS, 1960), so ergibt sich auf der Altersstufe 9 Wochen nur ein signifikanter Unterschied, nämlich zwischen Punktkreis und durchgezogener Schlaufe. Bei 10 Wochen erhält man gemäss Tabelle 4 von den sechs möglichen Vergleichen vier wenigstens auf dem 5%-Niveau gesicherte Unterschiede, nämlich zwischen jedem der beiden Kreise gegenüber jeder der beiden Schlaufen. Die Unterschiede zwischen der durchgezogenen und der punktierten Form der beiden Figuren sind nicht signifikant.

     

    Tabelle 4. DUNCANS Multiple Range Test zur statistischen Sicherung der Unterschiede zwischen den Reizfiguren bei 9 Kindern im Alter wen 10 Wochen

    Reizfiguren

    Mittel

    PK

    K

    PS

    S

    Min.Diff.

    p < 0,05

    Punktkreis PK

    504
    --
    12
    85
    105
    49,3

    Kreis K

    516
    --
    73
    93
    51,9

    Punktschlaufe PS

    589
    *
    *
    --
    20
    53.7

    Schlaufe S

    609
    *
    *
    --
    --

    Mit * bezeichnete Unterschiede sind wenigstens auf dem 5 % -Niveau signifikant.

    Mithin hat sich der Gesichtspunkt der Geordnetheit (Kreis/ Schlaufe) für die Herausbildung von A- bzw. Z-Systemen im Sinne unserer Hypothesen als relevant erwiesen. Für den Gesichtspunkt der Gliederung (Einheitlichkeit/Geteiltheit) müssen wir die Nullhypothese bis auf weiteres beibehalten. Immerhin ist zu beachten, dass die geteilten Figuren auf allen untersuchten Altersstufen durchwegs zu einem etwas gelösteren Wahrnehmungsverhalten führen ; der geringe Unterschied könnte möglicherweise mit einer grösseren Stichprobe statistisch gesichert werden. Gegliederten Figuren ist also vielleicht etwas eigen, was die Bildung von Z-Systemen ein bisschen erleichtert (vgl. unten).

    In Anbetracht der kleinen Stichproben ist der glatte Verlauf der Entwicklungskurven ausserordentlich erfreulich. Im untersuchten Altersbereich bleibt die Bedeutung der Schlaufenfiguren für die Ausbildung von A- oder Z-Systemen praktisch gleich, während bei den Kreisfiguren eine bedeutsame Entwicklung festzustellen ist. Weitere Untersuchungen zur Vervollständigung dieser Entwicklungskurven über 10 Wochen hinaus und allenfalls mit einer verfeinerten Messvariablen auch nach rückwärts sowie Kenntnisse über weitere Figuren sind höchst wünschbar.

    Mit 8 Wochen werden Kreisfiguren von Schlaufenfiguren nicht unterschieden. Wie durch die verhältnismässig hohen Gespanntheitswerte zwischen 563 und 599 angezeigt ist, bewirkt die Aufnahme der Reize eine Erhöhung der Erregung ; doch kann wahrscheinlich der vom Aussenreiz bedingte Erregungsanteil nicht aus der Eigentätigkeit des Systems herausgelöst werden. Mindestens aber führen Kreis und Schlaufe als durchgezogene oder als Punktfiguren nicht zu unterscheidbaren Erregungsmustern. [21] Das bedeutet für das System als Ganzes eine allgemeine Erregungserhöhung oder reizbedingte Aktivation ; damit verbunden sind Verhaltensmuster, wie wir sie für den A-Typus als charakteristisch beschrieben haben.

    Der Vorgang bleibt mit 9 und auch mit 10 Wochen grundsätzlich gleich für die Schlaufenfiguren, nicht aber für die Kreisfiguren. Mit den geordneten Reizkonfigurationen ist nun offenbar ein bestimmtes Erregungsmuster verbunden, welches sich aus der Eigentätigkeit des Systems herausisolieren lässt, welchem also im Gegensatz beispielsweise zu Sehlaufenfiguren spezifische Züge eigen sind. Da diese Differenzierung mit 8 Wochen in der gleichen Situation nicht in Erscheinung trat, kann sie nicht auf Eigenschaften des Reizmaterials allein beruhen. Sondern sie beruht entweder auf Spuren der Erfahrung, worauf das Erregungsmuster bezogen werden kann; oder sie kommt durch eine Eigentümlichkeit des Systems selbst zustande, welche einer Eigenschaft des ankommenden Erregungsmusters bzw. des Reizes irgendwie entspricht. Die Spezifität der Erregung ist also eine Funktion des Objektsystems.

    Es ist nun schwer einzusehen, dass menschliche Säuglinge gerade im Alter von 2 Monaten und im Lauf von 2 Wochen derartige Erfahrungen mit kreisrunden Gegenständen im Gegensatz zu Schlaufenfiguren machen sollen, dass besagte Unterscheidung auf Grund von Spuren möglich wird. Insofern nach der Meinung einer Mutter die Schlaufenfigur an einen Schnuller erinnert, ist eher das Gegenteil der Fall.

    Vielmehr müssen wir vermuten, dass im Lauf der durch unsere Versuche erfassten Entwicklungsphase durch Reifung und/oder durch den allgemeinen Gebrauch des visuellen Apparates derartige Bedingungen im System selbst herausgebildet werden, welche das Aussondern und Aufrechterhalten eines auf kreisförmige Reizmuster zurückgehenden und diese repräsentierenden Erregungsmusters oder Systemzustandes erlauben. Diese autochthonen Bedingungen des Systems und die geordnete Form des Reizmusters "korrespondieren" (KOHLER, 1962) einander in einem ausgezeichneten Systemzustand, der eine "gute Gestalt" repräsentiert. Die Auszeichnung von guten Gestalten ist mithin wahrscheinlich eine der primären Differenzierungen des Objektsystems [22].

    Natürlich muss offenbleiben, wie im einzelnen die für das Objektsystem des durchschnittlichen l0-wöchigen Säuglings relevanten Strukturmerkmale, welche die Kreisfigur im Gegensatz zur Schlaufenfigur kennzeichnen, phänomenologisch und/oder physikalisch am günstigsten zu definieren sind, so lange nicht systematische Untersuchungen mit den verschiedensten Reizaspekten vorliegen. "Gute Gestalt" ist in diesem Zusammenhang ähnlich wie "Komplexität" BERLYNE, 1960, 1964) auch nicht mehr als ein Sammelname. Immerhin scheinen der phänomenologische Begriff der Geordnetheit und der physikalisch-informationstheoretische Begriff der Redundanz eine nicht allzu einseitige Verallgemeinerung darzustellen, woran sich weitere Untersuchungen orientieren können. Ebenfalls muss offenbleiben, wie ein zur Erklärung der Objektsystem-Bedingungen guter Gestalten geeignetes Konstruktum am vorteilhaftesten beschaffen sein soll und in welchem Konstruktionszusammenhang es zu stehen hätte.

    Für eine Erklärung unserer Ergebnisse im Sinne der Gestalttheorie spricht ebenfalls, dass auch vom 1O-wöchigen Säugling durchgezogene und Punktfiguren verwechselt werden ; die entsprechenden Verhaltenssysteme sind jedenfalls mit unserer Methode nicht unterscheidbar. Auf Grund einer elementaristischen Lerntheorie des Wahrnehmens (HEBB, 1949) müsste man erwarten, dass aufgeteilte Figuren die Bildung von Z-Systemen (falls diese Übertragung in unsere Sprache statthaft ist!) wahrscheinlicher machen, da bei diesen Elemente (nodal Points") schon vorgegeben sind. Ferner verlangen die durchgezogenen Formen einen relativ hohen Grad der Integration oder Organisation zum Ganzen, während bei den geteilten Figuren viele verschiedene Kombinationen zu cell assemblies niedrigen Integrationsgrades möglich sind und natürlich jeder Ansatz zur Organisation der Reizerregung für die Bildung von Z-Systemen förderlich ist. Leider exemplifiziert HEBB seine Theorie beharrlich am Beispiel des Dreiecks und macht keine Angaben über Figuren ohne ausgezeichnete Fixationsstellen.

    Die Hebbsche Theorie des Wahrnehmungslernens könnte nun in der Tat in unseren Daten eine Bestätigung finden, falls sich der in den Entwicklungskurven sichtbare kleine Unterschied zwischen durchgezogenen und Punktfiguren statistisch sichern lässt. Dieselbe Theorie müsste aber auch einen allfälligen Entwicklungsfortschritt zunächst bei den punktierten Figuren erwarten, da bei diesen nur die Integration der Elemente gelernt werden muss, während das der Integration notwendig vorausgehende Heraussondern von fixierbaren Stellen gerade bei der Kreisfigur keine leichte Sache sein dürfte. Gerade die Kreisfigur müsste daher erst verhältnismässig spät Z-Systeme ermöglichen. Unsere Daten belegen das Gegenteil und stellen ein Argument gegen eine Theorie der Formwahrnehmung à la HEBB dar. Allerdings ist in unseren Versuchen die Erfahrung der Säuglinge mit ähnlichen Reizkonfigurationen des Alltags nicht hinreichend kontrolliert und das Argument daher nicht schlüssig. Unsere Versuchsanordnung ermöglicht aber leicht ein kritisches Experiment : wenn man Säuglingen unsere und weitere Reize über Stunden und Tage wiederholt darbietet, dann sind auf Grund der Hebbschen Theorie für die beiden Punktfiguren und andere Figuren mit ausgezeichneten Fixierstellen steilere Lerngradienten in Richtung Gelöstheit zu erwarten als für ungegliederte Figuren [23]; dementgegen dürfte systemtheoretisch die Erfahrungswirkung bei den beiden Kreisfiguren für die Entwicklung des Wahrnehmungsverhaltens stärker ins Gewicht fallen, weil sie sich mit der autochthonen Tendenz des Systems kombiniert.

     

     

    Abb. 6. Die Entwicklungskurven von Abb. 5, aufgeteilt bezüglich vor und nach der Mahlzeit

     

    Obwohl die entsprechenden Daten gegenwärtig nicht gesichert sind, scheint folgender Hinweis zur Wegleitung weiterer Untersuchungen bedenkenswert. In Abb. 6 sind die Entwicklungskurven der verschiedenen Reize von Abb. 5 auf die Zustände vor und nach der Mahlzeit aufgeteilt. Es fällt auf, dass die relativ steilen Entwicklungsgradienten der Kreisfiguren aus Abb. 5 in Abb. 6 für den Punktkreis weitgehend auf den Zustand vor der Mahlzeit und für den durchgezogenen Kreis weitgehend auf den Zustand nach der Mahlzeit beschränkt sind. Bezüglich der Kreisfiguren scheint also eine Interaktion zwischen dem Reizaspekt der Gliederung und dem Aktivationsniveau in dem Sinn vorzuliegen, dass bei hoher Aktivation geteilte Figuren die Bildung von Z-Systemen erleichtern. Eine Bestätigung dieser Tendenz könnte für die Theorie der Wahrnehmung recht bedeutsam sein. Sie würde gut zu der Rolle passen, die wir in der Systemtheorie den Aktivationsprozessen bei der Bildung eines Wahrnehmungs- oder Handlungssystems zugeschrieben haben (vgl. oben). Nach gestaltpsychologischer Ansicht werden die einzelnen Punkte des Punktkreises auf Grund der Gestaltfaktoren der Gleichheit, der guten Fortsetzung, des Zusammenschlusses und der Prägnanz zur Kreisform organisiert (WERTHEIMER, 1922; KOFFKA, 1935). Im Vergleich zur Kreisfigur hat aber der Punktkreis den Charakter des Unfertigen, Unvollständigen; und ohne damit die Ansicht einer Produktionstheorie der Gestalt (Grazer Schule, vgl. KOFFKA, 1935; METZGER, 1954) zu übernehmen, muss man annehmen, dass die Verschiedenheit der beiden Figuren doch zunächst zu zwei verschiedenen peripheren Reizerregungen führt. Die erhöhte Aktivation vor der Mahlzeit könnte nun bei der Punktkreisfigur die Bildung eines beständigen Wahrnehmungssystems "Kreis" (im Rahmen der Klasse der Z-Verhaltenssysteme des Säuglings) fördern, indem die "überschüssige" Eigentätigkeit des Systems bildlich gesprochen zur Ergänzung der Lücken zwischen den Punkten ausgenützt wird. Demgegenüber könnte dieselbe "überschüssige" Eigentätigkeit bei der Wahrnehmung der Kreisfigur die Beständigkeit des in Entstehung begriffenen Wahrnehmungssystems "Kreis" beeinträchtigen. Die je nach der Natur der ankommenden Reizerregung einmal förderliche, einmal störende Aktivation ist nach der Mahlzeit schwächer, so dass die autochthone Auszeichnung der Kreisfigur jetzt voll zur Auswirkung kommen kann. Natürlich ist das eine sehr weitgehende Spekulation: vielleicht trägt sie zum Verständnis der Systemtheorie bei, auch wenn sie sich sachlich als falsch erweist. Doch möge sie nicht als Präjudiz für KÖHLERS (1958) feld-physiologische Isomorphie-Annahme missverstanden werden: Wie immer die Kodierung der Reizinformation erfolgen mag, so ist entsprechend der umgekehrt U-förmigen Abhängigkeit der cue-function" von der arousal-function" (HEBB, 1955) je nach der Ausgangslage eine fördernde oder eine störende Wirkung von zunächst irrelevanter Aktivation bei der Bildung von Wahrnehmungs- oder Verhaltenssystemen denkbar.

     

    Inhalt

    Diskussion besonderer Probleme

    Im folgenden Abschnitt sollen einige ausgewählte Probleme, teilweise unter Berücksichtigung von zusätzlichen Daten, diskutiert werden. Es ist klar, dass ein Teil dieser Überlegungen über das hinausgeht, was in den vorliegenden Daten eine hinreichende Begründung findet. Da wir aber der gesamten Untersuchung einen vorwiegend explorativen Charakter zuerkennen möchten, solange nicht die Beobachtungsvariable operational einwandfreier definiert ist, mögen vielleicht auch weitergehende Spekulationen und Anregungen wertvoll sein.

     

    Zur Theorie der Genese des Objektsystems

    Eine Theorie der Genese des Objektsystems müsste auf Grund unserer Ergebnisse und Interpretationen etwa folgende Gesichtspunkte berücksichtigen. Es scheint, dass die frühesten Differenzierungen im Umgang mit Aussenweltskonfigurationen weder eine Sache allein von angeborenen Mechanismen noch allein von erfahrungsbedingten Spuren sind. Der Organismus des Säuglings befindet sich, bedingt durch Tages-, Ernährungszyklen, individuelle Eigenart und dergleichen, fortwährend in Zuständen unterschiedlich starker Aktivation. Unter Bedingungen allzu grosser oder allzu plötzlicher Abweichung des internen und/oder externen Milieus von gegebenen Sollwerten steigt das Aktivationsniveau zusätzlich auf Grund von sensorischen Prozessen an und führt zu Verhaltenssystemen, wie wir sie unter der Bezeichnung A-Systeme charakterisiert haben und die infolge ihres Signalcharakters unter normalen Bedingungen indirekt zur Wiederherstellung der Sollwerte beitragen. Häufigkeit, Intensität und Dauer solcher Abweichungen dürften für die Entwicklung und die spätere Bedeutung des Subjektsystems für das Verhalten wesentlich sein ; unter ungünstigen Bedingungen wird entweder ein zu schwaches oder ein zu starkes Subjektsystem aufgebaut.

    Dieselben Schwankungen begünstigen aber in Zeiten relativ niedriger Aktivation das Zustandekommen von Systemzuständen - wir sprechen von Z-Systemen --, die auf Grund der Funktionsweise des Systems selbst ebenfalls "irgendwie ausgezeichnet" sind, wenn auch wohl in anderer Weise als die A-Systeme. Es ist klar, dass diese Formulierung der Präzisierung bedarf; doch kann die Psychologie wenig mehr als Spekulationen dazu beitragen, da dies wahrscheinlich mit der Natur der innerhalb des Systems eingesetzten Kodierung(en) oder Sprache(n) zusammenhängt. Ähnlich wie die A-Systeme werden auch die Z-Systeme, die zunächst ebenfalls vorgegebene Verhaltenssysteme sind, durch bestimmte sensorische Prozesse verstärkt und im Laufe von Wiederholungen bekräftigt und generalisiert. Die resultierende überdauernde dynamische Struktur nennen wir das Objektsystem.

    Die Fragestellung der genetischen Wahrnehmungspsychologie geht nach den Reizaspekten, welche eine solche Verstärkung von Z-Systemen fördern können. Die vorliegende Untersuchung hat in der Kreisform einen solchen Reizaspekt gefunden. Wir haben nun spekuliert, dass die Kreisform in der Kodierung des sensorischen Apparates mit einer Eigentümlichkeit des primären Z-Verhaltenssystems "korrespondiert", so dass beide zusammen eine gewisse Beständigkeit des resultierenden Z-Systems sichern. Aktualgenetisch könnte man sich eine Stufenfolge von Systemzuständen denken, in denen primär die Züge eines Komplexes von Verhaltensschemata dominieren und die afferente Reizerregung allmählich zur Artikulation der korrespondierenden Systemeigentümlichkeit beiträgt. Ontogenetisch werden solche Z-Systeme zunehmend artikulierter ; die afferenten Erregungsmuster tragen zur Erweiterung der ursprünglichen Verhaltensschemata bei, und diese wiederum ermöglichen Korrespondenzen mit weiteren Strukturmerkmalen der Reizerregung. Die resultierenden differenzierteren Systemzustände erreichen schliesslich Eigenständigkeit als Wahrnehmungssysteme im Rahmen der Objekt-Organisation.

    Es ist eine Frage der Konvention, ob man bereits jene Eigentümlichkeit des primären Verhaltenssystems oder das auf Grund der Korrespondenz entstehende Wahrnehmungssystem oder erst die gesicherten "Spuren" auf Grund von Wiederholungen, Bekräftigungen, Generalisierungen, Kontrastwirkungen und dergleichen eine Differenzierung im Objektystem nennen will. Wir neigen zur ersten Ansicht, da nach der gegenwärtigen Erfahrung wohl Entwicklungsstufen PIAGET) unterscheidbar, aber kein Bruch bekannt ist in einer Entwicklungslinie, welche von solchen rudimentären Z-Verhaltenssystemen bis hin zu Wahrnehmungssystemen von vollständiger Dingkonstanz und zu kognitiven Systemen aller Grade der Abstraktion reichen mag. Insbesondere scheint die Entwicklung in der von uns untersuchten kritischen Phase kontinuierlich zu verlaufen. Natürlich bleibt der Neurophysiologie die Aufgabe, solche in der Psychologie nur als hypothetische Konstrukta entworfene Eigentümlichkeiten der Kodierung in ihrem Begriffszusammenhang zu untersuchen und zu erklären.

     

    Aktivationsverlauf

    Bezüglich der Aktivationsvariablen vor/nach der Mahlzeit findet sich in unseren Daten ein bemerkenswertes Nebenergebnis. Wir haben festgestellt (Abb. 4), dass vor der Mahlzeit gespannteres, nach der Mahlzeit gelösteres Wahrnehmungsverhalten vorherrscht. Diese Tendenz gilt auch für die Mehrzahl der Kinder, wenn man sie einzeln betrachtet. Doch haben immerhin 7 der insgesamt 29 Kinder oder 24% nach der Mahlzeit höhere Gelöstheit-Gespanntheitswerte als vorher. Das erinnert an IRWINS (1932) Befund bezüglich der Körper-Aktivität, wo, ungeachtet der signifikanten Bewegtheitszunahme während der Zeit zwischen zwei Mahlzeiten auf das Dreifache des Ausgangswertes bei der Gesamtgruppe, ebenfalls 33% der Kinder nach der Mahlzeit bewegter waren als vorher. Auf Grund dieser Entsprechung scheint uns die Erscheinung beachtenswert.

    Dass wir 4 Kinder mit umgekehrtem Verlauf in der Gruppe der 8-wöchigen, jedoch nur eines bei den 8- und zwei bei den l0-wöchigen Kindern haben, erklärt unmittelbar den überhöhten Varianzanteil der Interaktion Kinder x Zeiten bei 9 gegenüber 8 und 10 Wochen (vgl. Abb. 3). Während die Gesamtgruppe der 9-wöchigen Kinder im Durchschnitt über alle 4 Reize vor der Mahlzeit 601, nachher 539 Gelöstheit-Gespanntheitswerte aufweist, sinken die 8 Kinder mit dem erwartungsgemässen Verlauf von 618 auf 498 ; die 4 Kinder mit dem umgekehrten Verlauf steigen jedoch von 570 auf 624 (vgl. Abb. 7). Damit findet ferner die leichte Knickung der Entwicklungskurven in den Abb. 4 und 6, die wir sonst für eine zufällige Schwankung oder gar für eine Veränderung des Beobachter-Bezugssystems während des halben Jahres seit den Versuchen mit den 8- und 10-wöchigen Kindern hätten halten müssen, ihre systematische Ursache. Nach der Mahlzeit sind die Durchschnittswerte infolge der vier aktivierten Kinder stark überhöht, vor der Mahlzeit eher etwas zu niedrig, was dann zusammen den glatten Verlauf der Durchschnittskurven in den Abb. 4 und 5 ergibt. Dieselbe Häufung solcher Kinder mit umgekehrtem Verlauf in einer Altersgruppe ermöglicht uns nun andererseits, wenigstens bei den 9-wöchigen Kindern das Wahrnehmungsverhalten der beiden Typen zu vergleichen.

     

     

    Abb. 7. Gelöstheit-Gespanntheitswerte in Abhängigkeit vom Zustand vor und nach der Mahlzeit bei den 9-wöchigen Kindern (Gesamtgruppe N = 12) sowie zwei Teilgruppen mit gew6imUchem (N = 8) und umgekehrtem Verlauf (N = 4). Die gestrichelte Linie bezeichnet den Durchschnitt aller vier Reizfiguren

     

    Wie aus Abb. 7 ersichtlich ist, mässigen die 4 Kinder mit dem um- gekehrten Verlauf den Abwärtstrend der Gesamtgruppe. Doch scheint das Phänomen die 4 Reize nicht in unterschiedlicher Weise zu betreffen; der überhöhte Wert für die Schlaufenfigur vor der Mahlzeit ist allein durch eines von vier Kindern bedingt und mithin nicht signifikant. Das Reaktionsniveau und -muster der kleineren Gruppe nach der Mahlzeit gleicht deutlich demjenigen der grösseren Gruppe vor der Mahlzeit.

    Auf dem Hintergrund der Befunde von IRWIN (1932) neigen wir dazu, unsere Annahme über die Natur der Variablen vor/nach der Mahl- zeit als Ausdruck des Aktivationsniveaus einzuschränken. GLICKSTEIN et al. (1957) konnten auf Grund von kontinuierlichen Pulsaufzeichnungen zwei Typen von Vpn unterscheiden: die einen beginnen den Tag auf relativ hohem Aktivationsniveau, welches unter geringer Responsivität selbst auf belastende Ereignisse allmählich absinkt, während die anderen in Antizipation von belastenden Situationen jeweils ihren Aktivationsgrad erhöhen. Natürlich handelt es sich hier bei erwachsenen Neurotikern um Situationen (Interview, Blutentnahme), die phänomenal mit den Mahlzeiten des Säuglings wenig Gemeinsames haben; und die Pulskurve als Einzelmass repräsentiert das Aktivationsniveau ebenso schlecht und recht wie unsere Zeitenvariable. Dennoch scheint in den beiden Untersuchungen und indirekt auch in unseren Ergebnissen zum Ausdruck zu kommen, dass Veränderungen des Aktivationsniveaus bei einigen Individuen stärker autonomen Vorgängen folgen, bei anderen mehr durch das wechselnde Verhältnis zu Aussenweltsituationen bestimmt sein könnten: beim Erwachsenen durch die Antizipation von Anforderungen, beim Säugling zunächst durch den primitiven Aussenweltsbezug der Nahrungsaufnahme. Sollte sich bestätigen lassen, dass die Umkehrung unserer Gelöstheit-Gespanntheitswerte bei den 4 Kindern im wesentlichen auf ihrem eigentümlichen Aktivationsverlauf beruht und nicht bloss besondere Umstände des Körperzustandes gerade am Untersuchungstag widerspiegelt, so wäre ein Übergang gefunden von einer kaum anders als biologisch zu definierenden Grundlage (und vermutlich Anlage) zu einer durch diese mitbedingten, aber nun psychologisch begriffenen Persönlichkeitsdimension.

    Durch ihre deutliche Aktivations-Senkung nach der Mahlzeit wären die Kinder der grösseren Teilgruppe offenbar besser in der Lage, die Reize in Z-Systemen zu verarbeiten, als die Kinder der kleineren Teilgruppe vor der Mahlzeit. Dies könnte den Kindern mit dem umgekehrten Verlauf in der weiteren Entwicklung einen beträchtlichen Nachteil bringen : sie hätten weniger Chancen als die anderen, Zeiten relativ geringerer Aktivation zum Bilden von Z-Systemen auszunützen, da ihr Niveau vor der Mahlzeit doch noch relativ höher ist als das Niveau der anderen nach der Mahlzeit. In der Folge wären auch die Chancen, dass Z-Systeme durch das Verhalten der Mutter bekräftigt und gefördert werden, verhältnismässig geringer. Dies würde schliesslich bedeuten, dass die Kinder mit dem umgekehrten Verlauf ihr Objektsystem weniger gut entwickeln können oder dass die sich entwickelnden Objektsystem-Differenzierungen jedenfalls stärker als bei den anderen von Subjektsystem-Einflüssen betroffen sind. Ein besonderes Verhältnis der beiden Teilsysteme zueinander wäre damit bereits in dieser frühen Entwicklungsphase präjudiziert (vgl. den Begriff der Subjekt-Objektsystem-Dominanz, LANG, 1964, insbesondere was dort die Übergangscharakteristik zwischen den beiden Teilsystemen" genannt wurde).

     

    Aktivität

    Unsere zusätzlichen Beurteilungen des Aktivitätsgrades der Kinder vor jeder Reizdarbietung erlauben eine gewisse Kontrolle unserer Annahme über die Bedeutung der Variablen vor/nach der Mahlzeit. Wie oben ausgeführt, betrachten wir diese beiden Variablen als empirische Manifestationen der hypothetischen Variablen des Aktivationsniveaus. In der Tat stehen die dichatomisierten Aktivitätsbeurteilungen (agitiert und wach-aktiv gegen wach-inaktiv und schläfrig) in einem statistisch gesicherten Zusammenhang mit dem Zustand vor und nach der Mahlzeit; der entsprechende Vierfelder-Korrelationskoeffizient ist allerdings nur von der Grössenordnung von .28. Auch unsere Kinder sind also vor der Mahlzeit im allgemeinen aktiver als nachher (vgl. IRWIN, 1932). Doch ist die Beziehung, auch abgesehen vom Umstand, dass mindestens 3 Kinder mit umgekehrtem Verlauf die Höhe dieses Koeffizienten vermindern, nicht sehr eng, und es dürfte sich daher lohnen, die beiden Aktivationsvariablen in ihrer unterschiedlichen Wirkung auf das Wahrnehmungsverhalten zu untersuchen.

     

    Tabelle 5. Unterschiedliche Wirkung von zwei empirischen Massen des Aktivationsniveaus auf das Wahrnehmungsverhalten bei 8- und 10-wöchigen Kindern

    8 Wochen

    10 Wochen

    gelöst

    gespannt

    gelöst

    gespannt

    Häufigkeiten

    vor Mahlzeitj/inaktiv

    5
    9
    14
    5

    vor Mahlzeit/aktiv

    29
    28
    15
    33

    nach Mahlzeit/inaktiv

    22
    3
    24
    6

    nach Mahlzeit/aktiv

    23
    7
    12
    10

    x2= 17,l0;
    x2=21,07;

    p < 0,01*
    p<0,01*
    Prozentsätze der Erwartungswerte

    vor Mahlzeit/inaktiv

    57
    173
    135
    58

    vor Mahlzeit/aktiv

    81
    131
    57
    151

    nach Mahlzeit/inaktiv

    140
    32
    146
    44

    nach Mahlzeit/aktiv

    122
    63
    100
    100

    * Die Irrtumswahrscheinlichkeit ist etwas höher anzusetzen, da die Daten stochastisch teilweise nicht unabhängig sind.

     

    In der Tabelle 5 sind die diesbezüglichen Daten der 8- und l0-wöchigen Kinder [24] einmal in Form von Häufigkeiten und einmal in Form von Prozentsätzen der Erwartungswerte auf Grund der Randsummen dargestellt. Die Dichatomisierung der Gelöstheit-Gespanntheitswerte ist willkürlich bei 599/600 angesetzt. Es ist offensichtlich, dass das Wahrnehmungsverhalten bei 8 Wochen überwiegend von der Mahlzeitvariablen bestimmt ist, während dieser Einfluss bei 10 Wochen zugunsten der Aktivitätsvariablen zurücktritt. Unter der Annahme, dass die augenblickliche Aktivität relativ stärker als der Hunger den reizabhängigen Anteil der Aktivation widerspiegelt, ist damit erneut die zunehmende Hinwendung des Säuglings zur Aussenwelt auf dieser Altersstufe belegt.

     

    Bevorzugte Fixierung

    Wir haben im Abschnitt über die Reizvariation die in Untersuchungen der Säuglingswahrnehmung bisher ausschliesslich verwendete Variable der bevorzugten Fixierung als psychologisch mehrdeutig kritisiert. Da unsere Zeitstichproben-Beobachtungen eine Schätzung der Fixierdauer ermöglichen, können wir diese Behauptung empirisch stützen; doch sind exaktere Belege erwünscht und mit Hilfe von Filmaufnahmen leicht zu gewinnen.

     

     

    Abb. 8. Fixierdauer (in Prozent der Zeitstichprobe) für die vier Reize und ihren Durchschnitt (gestrichelte Linie) auf drei Alterstufen

     

    In Abb. 8 sind Entwicklungskurven der Fixierdauer für die 4 Reize und ihren Durchschnitt im Mittel über die beiden Zeiten dargestellt. Die abhängige Variable ist der Prozentsatz jener Momente der Zeitstichprobe, bei denen der Säugling den Reiz fixierte. Kriterium dafür war ein Lichtpunkt als Spiegelung der Reizfigur im Zentrum der Pupille. Da der Beobachter hauptsächlich auf die Einschätzung der Gelöstheit-Gespanntheit konzentriert war, sind die so gewonnenen Daten sicher nicht vollständig zuverlässig. Unterschiede zwischen den Reizen sind nur auf der Altersstufe 9 auf dem 5 % -Niveau gesichert; vereinigt man die Daten aller drei Altersstufen, so sind die Unterschiede zwischen den Reizen nach FRIEDMANS Rangvarianzanalyse (LIENERT, 1962) mit X2= 12,72 bei 3 Freiheitsgraden (p < .0l) sicher nicht zufällig. Auch hier gewährleistet die Durchgängigkeit der Entwicklungskurven eine gewisse Gültigkeit des Befunds.

    Die Daten belegen, dass die Fixierdauer hauptsächlich vom Reizaspekt der Gliederung - und nicht wie die Gelöstheit-Gespanntheit primär vom Reizaspekt der Geordnetheit - determiniert ist. Die punktierten Figuren führen auf allen Altersstufen durchschnittlich zu längeren Fixierzeiten als die durchgezogenen. Da alle 4 Figuren gleiche Fläche und gleiche Konturenlänge aufweisen, ist die Hypothese von BERLYNE (1958), komplexere, d.h. Figuren mit längeren Konturen, würden bevorzugt fixiert, nicht zu halten. Unsere Ergebnisse rechtfertigen einzig die Annahme, dass komplexere, d.h. Figuren mit mehr Elementen, länger fixiert werden; bereits die Unregelmässigkeit der Anordnung dieser Elemente scheint ohne Bedeutung. Einem derart entleerten Komplexitätsbegriff ist unseres Erachtens der Begriff der Gliederung als zur Beschreibung der Ergebnisse ausreichend vorzuziehen. Zur Erklärung der bevorzugten Fixierung genügen jedoch beide Begriffe nicht.

    Hingegen weist ein Vergleich der Abb. 8 mit unserer Abb. 5 trotz gleicher Entwicklungsverläufe der Fixationsdauer ganz unterschiedliche Entwicklungskurven bezüglich der Gelöstheit-Gespanntheit auf. Unter Vorbehalt der Bestätigung unserer Fixationsdaten scheinen Reizfiguren mit mittlerer Fixierdauer am leichtesten in Z-Systemen verarbeitet zu werden, während die Vorherrschaft von A-Systemen entweder mit relativ kurzen (Schlaufe) oder aber mit relativ langen (Punktschlaufe) Zeiten verbunden ist. Dem entspricht der intuitive Eindruck des Beobachters, dass hohe Gespanntheit (A-Systeme) sowohl in gebanntem Hinstarren wie auch in Kopfwegwenden oder Augenschliessen ihren Ausdruck finden kann.

     

     

    Abb. 9. U-förmige Abhängigkeit von Fixationsdauer und Gelöstheit-Gespanntheit bei 10 Wochen (N = 72)

    Obwohl operational komplizierter definiert und nicht so exakt messbar wie die bevorzugte Fixierung, ist unsere Variable des Wahrnehmungsverhaltens psychologisch sinnvoller. In unseren Daten erscheint die Fixierdauer wenigstens auf der Altersstufe 10 als eine U-förmige Funktion der Gelöstheit-Gespanntheit (Abb. 9); bei 8 und 9 Wochen ist die Beziehung noch kaum angedeutet. Sobald also die Reize für das Wahrnehmungsverhalten unterschiedlich wirksam werden können, bedeuten kurze Fixationszeiten Indifferenz gegenüber dem Reiz ; lange Fixationszeiten hingegen zeigen einen Verarbeitungsprozess an. Dessen Natur ist aber auf Grund der Fixationsdauer allein nicht eindeutig bestimmbar [25].

    Die bevorzugte Fixierung der konzentrischen Ringe gegenüber dem Streifenmuster nach 8 Wochen in den Daten von FANTZ (1958, 1961) wäre demnach vermutlich auf Z-Verhaltenssysteme zurückzuführen und würde eine mit 6 Wochen noch nicht bestehende primäre Differenzierung des Objektsystems bezüglich guter Gestalten, besonders der Kreisform, voraussetzen. Warum allerdings im Alter von l-6 Wochen das Streifenmuster länger fixiert wird - wir wissen nicht, ob dies auf A- oder auf Z-Systemen beruht -, kann erst geklärt werden, wenn weit eingehendere Kenntnisse über die Genese des Objektsystems verfügbar sind.

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    Dr. ALFRED LANG, Psychology Department, York University, Toronto 12, Ont., Canada

    Inhalt

    Fussnoten

    * Gegenwärtig als Canada Council Postdoctoral Fellow an der York University in Toronto, Ont., Canada. Der Verfasser möchte seinem verehrten Lehrer RICHARD MEILI seinen herzlichen Dank für die Anregung dieser Arbeit ausdrücken.

    1 Die Herkunft einer solchen Konstruktion aus der theoretischen Psychologie LEWINS (1936, 1963) ist unverkennbar. Für eine ausführlichere Herleitung wird auf LANG (1964) verwiesen.

    2 Diese zweite Möglichkeit ausgezeichneter Zustände wird häufig gerade von Homöostase-Theoretikern übersehen, die dann entweder im Rahmen einer Lerntheorie Generalisations- und Transferprozesse überfordern (beispielsweise COFER und APPLEY, 1964) oder in eine vitalistisch-teleologische Selbstverwirklichungstheorie ausweichen müssen, aber im Grund genommen die einfache Tatsache der Entwicklung nicht erklären können.

    3 Die Zuordnung von Reizsituation und Ws einerseits und von Hs und Handlung anderseits sind Probleme für sich. Die Stelle der erlebten Wahrnehmung in diesem Begriffssystem ist nicht spezifiziert; sie kann sowohl an das Ws wie an das Hs gebunden gedacht werden. Für die experimentelle Forschung ist allerdings nur das zweite relevant, da Wahrnehmungserlebnisse stets nur über Handlungen zugänglich sind.

    4 Diese Formulierung ist durch die Eigentätigkeit des Nervensystems, d. h. das "spontane Feuern" der einzelnen Neuronen, nahegelegt; sie hat aber unabhängig davon auch ihren Sinn in einer psychologischen Konstruktion. Gemeint sind spontane, zufallsbestimmte Zustandsänderungen von Regionen, wodurch jeweils andere Bezüge dieser Regionen akzentuiert werden; natürlich erfolgen sie im Rahmen der dem Gesamtsystem auferlegten Gesetzmässigkeiten.

    5 Dem psychologischen Konstrukt der Aktivation von Regionen können natürlich im neurophysiologischen Begriffskontext sowohl exzitatorische wie inhibitorische Prozesse entsprechen. Es kommt hier allein auf den resultierenden Gesamtzustand an; auf welche Weise dieser erzielt wird, ist eine andere Frage.

    6 Ich glaube, dass in den zahlreichen Untersuchungen (vgl. die Uebersicht von LAROCHE und TCHENG, 1963) das Lächeln zu einseitig vom Gesichtspunkt des Beobachters als eine Reaktion aufgefasst wird, nämlich als eine Reaktion auf akustische und visuelle Reize, besonders natürlich das Gesichtsschema. Vom "Gesichtspunkt" des Säuglings ist das Lächeln jedoch eine "Handlung", mit welcher er ziemlich gezielt in die Aussenwelt wirken und den Effekt mit seiner Erwartung vergleichen kann. Irgendein Gesichtsverziehen, meist ebenfalls ein Lächeln, ist auf das Lächeln des Säuglings hin bekanntlich nur schwer unterdrückbar. Ein Bild des Säuglings und Kleinkinds als eines aktiven Wesens, das eine wechselseitige Beziehung zu seiner Pflegeperson sucht und herstellt, ergibt sich auch für KESSEN (1963) aus einem Literaturüberblick.

    7 Leider erst nach Abschluss der vorliegenden Untersuchung bin ich einer Arbeit von SCHNEIRLA (1965) begegnet, welcher eine erstaunlich ähnliche Konzeption im Rahmen der vergleichenden Verhaltensforschung entwickelt hat und begreiflicherweise weit besser empirisch belegen kann. Das zentrale Postulat dieser biphasischen Zuwendungs-/Abwendungs-Theorie (approach = A; withdrawal = W) lautet: "… in early developmental stages, low or decreasing stimulative effects can selectively arouse organic processes of the A-System (!) … and, conversely, … high or increasing stimulative effects can selectively arouse organic processes of the W-System …" (SCHNEIRLA, 1965, S.3).

    8 Darwinistisch könnte man vertreten, dass das Schreien und Zappeln des hungrigen und ängstlichen Säuglings dem Futter heischenden Schnabelsperren der Vögel und der Fluchtreaktion bedrohter Tiere verwandt ist. Analog wäre dann das Lächeln des Säuglings zur Nachfolgereaktion bei der Prägung auf das Muttertier in Beziehung zu setzen, was übrigens von GRAY (1958) postuliert worden ist.

    9 Für die Finanzierung dieses Geräts sei dem Bernischen Hochschulverein und für seinen Bau Herrn SCHMID, Mechaniker an der Universität Bern, herzlich gedankt.

    10 Zur Entwicklung eines Verlaufsmodells des Wahrnehmungsverhaltens, welches auf weite Sicht wohl unerlässlich sein wird, sind vielleicht "umgekehrte Frustrationsversuche" nützlich, in welchen -- beispielsweise im Rahmen einer Theorie sukzessiver Stress-Schwellen (APPLEY, 1964; COFER und APPLEY, 1964) -- mit schwächer oder stärker belastenden Situationen und deren plötzlicher Ablösung durch eine systematische Variation von angenehmen und vertrauten Einflüssen der 'Verlauf des Übergangs von A- zu Z-Systemen untersucht wird.

    11 Für ihre aufgeschlossene und zuverlässige Mitarbeit sei an dieser Stelle Fräulein KATRIN PETERSEN herzlich gedankt.

    12 Diese Schätzung der Zuverlässigkeit ist methodisch nicht ganz einwandfrei, da die Messwerte teilweise nicht unabhängig sind. Wird für jede der acht Situationen (vgl. Versuchsplan) gesondert gerechnet, so dass in jeder Stichprobe jedes der 12 Kinder nur einmal vorkommt, so erhält man Koeffizienten von .65 bis .96, im Durchschnitt immer noch 35. Die Übereinstimmung der Beobachter ist übrigens nach der Mahlzeit der Kinder besser als vorher, was in Verbindung mit introspektiven Befunden der Beobachter vermuten lässt, dass die Beobachter jeweils gewisse individualtypische Verhaltensweisen der Kinder zunächst kennenlernen und in ihr allgemeines Bezugssystem einbauen müssen. Für die Beobachterin war das Kind bei den Versuchen vor der Mahlzeit unbekannt, während es der Vl schon am Vormittag beobachtet hatte.

    l3 Allerdings sind HERSHENSOns Versuchskinder nur 24 Tage alt, während sich der Altersbereich der übrigen Untersuchungen zwischen 2 und 36 Wochen erstreckt. Die leichtere Verfügbarkeit von Heimkindern hat offenbar die meisten Forscher zur Zusammenstellung von altersmässig zu heterogen Versuchsgruppen verleiteten.

    14 Wir benützen mit Absicht mehrere Begriffe nebeneinander und enthalten uns weitergehender Interpretationen, um nicht dem Fehler voreiliger Klassifikation zu verfallen, wodurch, wie das Beispiel der Komplexität zeigt, nicht nur nichts gewonnen, sondern Verwirrung gestiftet wird. Es ist besser, sich an die gezeichneten Figuren selbst zu halten, solange nicht so etwas wie eine physikalische Metrik der Form (vgl. den Vorschlag von MICHELS und ZUSNE, 1965) Allgemeingültigkeit erlangt.

    15 Wir hatten geplant gehabt, den Komplexitätsaspekt der "Heterogenität der Elemente" (BERLYNE, 1960) durch Punktkreis und Punktschlaufe entsprechende Figuren zu verwirklichen, bei denen die 12 Punkte durch je 4 Punkte, Dreiecke und Vierecke ersetzt waren. Da pro Sitzung bei einem grossen Teil der Kinder nicht mehr als vier Reize dargeboten werden konnten, mussten wir aber darauf verzichten.

    l6 Mit Ausnahme von 4 Kindern, bei denen je zwei fehlende Daten aus den entsprechenden Vormittagsmessungen ergänzt werden konnten, wurden nur die Kinder mit vollständigen Nachmittags-Datensätzen in die Analyse einbezogen.

    17 Wegen der kleinen Stichproben haben wir von einer statistischen Prüfung der Unterschiede zwischen den Altersstufen abgesehen. Die folgenden Ausführungen haben den Status von noch zu überprüfenden Hypothesen. Wir hatten erwogen, eine vierfache Varianzanalyse über Reize x Kinder x Zeiten x Altersstufen zu berechnen: dies zwingt aber nicht nur zum Weglassen der Daten von 5 Kindern, die Interpretation wird infolge des Fehlens einer adäquaten Prüfstreuung dennoch nicht sicherer.

    l8 Es sei noch einmal daran erinnert, dass unsere Interpretationen nur vorsichtig über den Kontext des dargestellten Versuchs hinaus verallgemeinert werden sollten. Das verwendete Reizmaterial ist begrenzter Natur und willkürlich ausgewählt. Und insbesondere ist unsere Beobachtungsvariable ein grober Raster, auf den das Wahrnehmungsverhalten des Säuglings abgebildet wird. Es ist denkbar, dass mit einer feineren und zuverlässigeren Messvariablen und unter noch besser kontrollierten Versuchsbedingungen schon mit 8 Wochen und früher signifikante Unterschiede zwischen den vier Reizen gefunden werden könnten. Doch scheint mir wahrscheinlich, dass der grundsätzliche Entwicklungsverlauf unserer Ergebnisse auch dann erhalten bliebe. Ein neues Darbietungsgerät, welches die Aufnahme von Filmen erlaubt, und eine operational detaillierter definierte Skalierung des Wahrnehmungsverhaltens mit Hilfe von Zeitstichproben-Filmen befinden sich in Vorbereitung.

    19 Anschliessend an die Darbietung der 4 Figuren wurde bei einigen 9-wöchigen Kindern ein Standardversuch mit der schwarzen Kugel gefilmt. Zwischen unserem Gelöstheit-Gespanntheitsniveau im Durchschnitt der 4 Reize und einer Globaleinschätzung der Filmszenen nach der Methode von PULVER (1959b) ergibt sich eine positive Korrelation, deren Grössenordnung aus den wenigen Fällen jedoch bisher nicht hinreichend zuverlässig geschätzt werden kann.

    20 Das Persönlichkeitskonstruktum der Subjekt-Objektsystem-Dominanz (LANG, 1964) ist, was die Idee der relativen Dominanz der beiden Teilsysteme betrifft, revisionsbedürftig.

    21 Gewisse üblicherweise als subkortikal betrachtete Aspekte des Vorgangs wie etwa die sensu-okulomotorische Lokalisation des Reizes sind hier ausser acht gelassen, obwohl eigentlich schwer eine Grenze zu ziehen ist zu den eigentlichen Objektsystem-Funktionen. So interpretiert GREENMAN (1963) die Nachfolgebewegung der Augen auf einen bewegten Gegenstand als nicht reflexmässig, da keine Abschwächung und Wiedererwerbung dieser Funktion im Laufe der Entwicklung beobachtet werden könne.

    22 Voraus geht selbstverständlich die Figur-Grund-Differenzierung, die auch HEBB (1949) für das Wahrnehmungslernen voraussetzt.

    23 In einer mündlichen Mitteilung machte HEBB allerdings geltend, dass sich die von den durchgezogenen und von unseren Punktfiguren induzierten Augenbewegungen kaum wesentlich unterscheiden.

    24 Um die Verundeutlichung der Resultate durch die bei 9 Wochen gehäuft vorkommende Umkehrung des Aktivationsverlaufs (siehe oben) zu vermeiden, haben wir uns in diesem Abschnitt auf die Daten der 8- und l0-wöchigen Kinder beschränkt, dafür aber auch die Vormittagsbeobachtungen und die Kinder mit unvollständigen Datensätzen einbezogen.

    25 Ein für beide Ansätze vielleicht nützlicher methodischer Kniff könnte darin liegen, ein kombiniertes Mass der Fixierdauer, modifiziert durch einen einfacher als unser Gelöstheit-Gespanntheitsmass zu gewinnenden Koeffizienten der Prominenz von A- oder Z-Systemen, zu entwickeln.

    26 See Psychonomic Science 4, 203-204 (1966), for a more detailed summary of the present research.

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